Kognitive Bedrohungen im Fokus: Die sicherheitspolitischen Signale der Nachrichtendienst-Anhörung
- Tim Stark
- 21. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Nov.
Die Präsident:innen von BND, MAD und Verfassungsschutz warnten im Bundestag eindringlich vor Russlands Informationskrieg – und machten klar, dass der Kampf um die Demokratie längst in unseren Köpfen tobt.

Zwischen Köpfen und Kabeln – Wie die Dienste den Informationskrieg beschreiben
Die diesjährige öffentliche Anhörung der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Nachrichtendienste im Bundestag fiel in eine Phase erhöhter Sensibilität. Sabotageakte gegen Bahntrassen, Drohnenüberflüge über militärische Anlagen und ein zunehmend offener Ton in der Politik gegenüber Moskau haben die Bedrohungslage in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit gerückt.
Dieser Artikel konzentriert sich auf eine Dimension, die zwar weniger sichtbar, aber strategisch entscheidend ist: die Informationsdomäne – also den Bereich der Desinformation, Einflussnahme und kognitiven Kriegsführung. In kaum einem Jahr zuvor wurde in der Anhörung so deutlich benannt, dass sich der sicherheitspolitische Konflikt mit Russland längst nicht mehr nur auf Schlachtfelder oder Geheimdienstoperationen beschränkt, sondern tief in das Denken und Fühlen westlicher Gesellschaften hineinwirkt. er Vollständigkeit halber sei jedoch darauf hingewiesen, dass die Dienste bereits seit mindestens fünf Jahren im Rahmen der jährlichen Anhörung zu Desinformation und Einflusskampagnen dem Parlament und der Öffentlichkeit Bericht erstatten – auch wenn dieses Thema in der Medienberichterstattung bislang nur selten aufgegriffen wurde.
Russland führt einen Angriffskrieg gegen die Köpfe
„Unsere Gegenwart ist geprägt von wachsender Konfrontation“, begann BND-Präsident Martin Jäger sein Eingangsstatement. „Ein Charakteristikum dieser Konflikte liegt darin, dass sich die Grenze zwischen Frieden und Krieg zunehmend verwischt.“ Russland, so Jäger, führe zwar einen militärischen Angriffskrieg gegen die Ukraine – doch gleichzeitig richte sich sein strategisches Handeln auch gegen die Gesellschaften Europas.
Mit drastischen Worten beschrieb er die neue Qualität dieser Auseinandersetzung:
„Das Handeln Russlands ist darauf angelegt, die NATO zu unterminieren, europäische Demokratien zu destabilisieren, unsere Gesellschaften zu spalten und einzuschüchtern. Europa soll von Furcht und Handlungsstarre gelähmt in die Selbstaufgabe getrieben werden.“
Russland bediene sich dafür eines ganzen Arsenals an Mitteln – „Manipulation von Wahlen und öffentlicher Meinung, Propaganda, Provokation, Desinformation, Einschüchterung, Spionage und Sabotage“. Diese Häufung, so Jäger, stelle „eine neue Qualität der Konfrontation“ dar. Besonders eindrücklich war seine Mahnung, dass es in diesem Konflikt nicht mehr um Argumente gehe:
„Wir befinden uns nicht in einer diskursiven Auseinandersetzung, wo das bessere Argument gewinnt. Nachgiebigkeit wird uns von Gegnern wie Russland als Schwäche ausgelegt.“
Für Jäger steht fest: Der Krieg der Zukunft – und gewissermaßen auch der Gegenwart – spielt sich „nicht nur auf dem Terrain, sondern in den Köpfen“ ab.
Deepfakes, Desinformation und die Bedrohung von innen
Martina Rosenberg, Präsidentin des Militärischen Abschirmdienstes (BAMAD), zeichnete ein ähnlich besorgniserregendes Bild. Autoritäre Staaten, erklärte sie, setzten zunehmend auf „vielschichtige Strategien, um ihre Einflussnahme auszudehnen“. Dazu gehörten Sabotageakte ebenso wie „Desinformationskampagnen zur Wahlbeeinflussung“. Diese zielten gezielt darauf ab, das Vertrauen in die Streitkräfte, die NATO und demokratische Institutionen zu untergraben.
„Desinformationskampagnen, insbesondere in digitalen Räumen und sozialen Medien, stellen eine weitere Gefahr dar. Sie sollen das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Streitkräfte und die Bündnispartner untergraben. Diese Kampagnen zielen darauf ab, Zweifel an der Stärke und der Einheit der NATO zu säen und die Moral der Soldatinnen und Soldaten zu beeinträchtigen.“
Rosenberg warnte zudem vor einer neuen technologischen Dimension:
„KI-gestützte Angriffe, wie etwa durch Deep-Fake-Technologien oder automatisierte Cyberangriffe, stellen eine neue Dimension der Bedrohung dar.” So könnte die Nutzung von Deepfakes beispielsweise dazu dienen, mit gefälschten Anweisungen an militärische Einheiten eine reale Gefährdung der Einsatzbereitschaft herbeizuführen.
Eine Konfrontation, die zuallererst im Kopf gewonnen wird
Verfassungsschutzpräsident Sinan Selen führte den Gedanken weiter und sprach explizit von kognitiver Kriegsführung. Dieser Begriff beschreibt Versuche, Wahrnehmungen, Emotionen und gesellschaftliche Diskurse gezielt zu manipulieren. „Russland“, so Selen, „ist zweifellos aggressiv, offensiv und zunehmend eskalativ.“ Seine Dienste „bringen die Angriffsvektoren ihrer Toolbox breit gefächert zur Anwendung“.
Selen warnte vor der gefährlichen Verknüpfung von Desinformation, Propaganda und Sabotageakten:
„Fakt ist: Es passiert, wir können es sehen – und wir dürfen es nicht zulassen. Wir dürfen es nicht zulassen, weil Sicherheit und Souveränität aus Abschreckung und Wehrhaftigkeit resultieren.“
Das Ziel russischer Einflussoperationen sei klar: „Verunsicherung in der Zielfläche“ – also in westlichen Gesellschaften selbst. Deutschland stehe, so Selen, „an exponierter Stelle in einem Systemkonflikt, in dem nachrichtendienstliche Operationen immer stärker gekoppelt sind an kriegerische Aktivitäten, regionale Konflikte und geopolitische Ambitionen“.
Wachsende Aufmerksamkeit – und verspätete Dringlichkeit
Erstmals seit Jahren fand die Warnung vor diesen kognitiven Bedrohungen auch im politischen Raum ein offenes Echo. Abgeordnete verschiedener Fraktionen sprachen von einem „Paradigmenwechsel“ in der Sicherheitsarchitektur. Die Kombination aus realen Sabotageakten und digitalen Einflusskampagnen habe verdeutlicht, dass Deutschland nicht nur militärisch, sondern auch kommunikativ verwundbar sei.
Auch außerhalb der Nachrichtendienste wächst die Aufmerksamkeit. In Sachverständigenanhörungen des Bundestages wird seit Jahren darauf hingewiesen, dass Russland, aber auch andere autoritäre Staaten, gezielt auf Meinungsbildung, Polarisierung und Vertrauensverlust abzielen. Forschende sprechen von einem „Angriff auf die kognitive Souveränität“.
Die Präsidenten der Nachrichtendienste mahnten daher nicht nur zu mehr technischer Aufklärung, sondern auch zu gesellschaftlicher Wachsamkeit. „Wir müssen uns darauf einstellen“, so Jäger, „unter extremen Bedingungen zu handeln.“ Nur so könne Deutschland „seine Gegner abschrecken und den Ernstfall meistern“.
Fazit – Der Krieg in den Köpfen
Die diesjährige Anhörung machte deutlich: Der Informationskrieg ist keine abstrakte Gefahr, sondern längst Realität. Russland und andere Akteure operieren gezielt in der Sphäre von Wahrnehmung, Vertrauen und Meinung. Deutschland hat begonnen, darauf zu reagieren – mit besserer technischer Ausstattung, engerer Kooperation und politischer Klarheit. Doch die Herausforderung bleibt: Der Krieg wird nicht auf dem Terrain gewonnen, sondern in den Köpfen.





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