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Drohnen: Zwischen verschlafener Koordination und verspätetem Aufwachen

Plötzlich reden alle über Drohnen. Forderungen aus Bund und Ländern überschlagen sich, neue Programme sollen her, Budgets werden gefordert. Der öffentliche Eindruck: Wir haben alles verschlafen – und jetzt ist es zu spät. Ganz so einfach ist es aber nicht.


Zuständigkeiten? Ungeklärt seit Jahren

Das Problem liegt weniger in der Technik als in der Zuständigkeit. Seit Jahren ist unklar, wer in Deutschland eigentlich für Drohnenabwehr verantwortlich ist – Polizei, Bundeswehr, Innenministerien oder Luftfahrtbehörden.Das Ergebnis: Jede Behörde beschafft ein bisschen selbst, entwickelt eigene Verfahren, baut eigene Kompetenzen auf – aber nie mit voller Schlagkraft (zB ASUL bei der Luftwaffe, Bayern zur EURO 2024). Deutschland hat also nicht alles verschlafen, doch die Politik hat ihren Teil nicht geliefert: Gesetzgebung und Koordination, insbesondere zwischen Bund und Ländern.


Warum ein Flickenteppich nicht reicht

Flugabwehr ist in Teilen nach der Flughöhe der zu bekämpfenden Objekte untergliedert, von tragbaren Systemen für Nahdistanz bis hin zu stationären Systemen, die auf Ziele in Höhen bis zu 100km spezialisiert sind. Wer Drohnen effektiv abwehren will, muss all diese Bereiche vernetzen.Denn auch unbemannte Systeme sind in unterschiedlichen Domänen unterwegs (stark vereinfacht zum Verständnis):


· MALE/HALE-Drohnen wie Reaper oder Eurodrone: groß, flugzeugähnlich, für Aufklärung (ISR) oder bewaffnete Einsätze.

· Kleine Quadcopter: schwer zu orten, kaum durch Radar oder Sichtkontakt erfassbar, können bewaffnet oder zur Aufklärung genutzt werden.

· Loitering Munition („Kamikaze-Drohnen“): Flugkörper, die im Zielgebiet „loitern“ und bei Zielidentifikation gezielt einschlagen.


Die Entwicklung schreitet rasant voran. Neben militärischen Systemen entstehen immer größere zivile Quadcopter für Logistiklösungen – ebenso modifizierte Varianten mit Flammenwerfern oder improvisierter Bewaffnung, wie sie im Ukrainekrieg zum Einsatz kommen.


Diese Systeme fliegen in unterschiedlichen Höhen, mit verschiedenen Geschwindigkeiten, Funktionen und Risiken. Entsprechend breit muss das Spektrum an Abwehrmaßnahmen sein. Große Drohnen können nicht einfach über bewohntem Gebiet abgeschossen werden – das Risiko wäre ähnlich wie bei einem Flugzeugabsturz.Doch unabhängig von ihrer Größe geht von Drohnen immer eine Gefahr aus: für die zivile Luftfahrt, durch Abstürze, oder – im Extremfall – durch gezielte Angriffe.Wie zuletzt in München, wo Meldungen kleiner, mutmaßlich unbewaffneter Drohnen zeitweise den Flugverkehr lahmlegten.


Mehr als klassische Flugabwehr: Optionen zur Drohnenabwehr

Neben Aufklärung und Tracking gibt es drei zentrale Kategorien moderner Gegenmaßnahmen:


1. Elektronische Abwehr (Jamming)

RF-Jamming stört die Funkverbindung zwischen Steuerung und Drohne. Das Signal wird überlagert, die Drohne verliert den Kontakt und reagiert je nach Programmierung – sie schwebt, landet oder kehrt zum Startpunkt zurück.GNSS-Jamming blockiert GPS-Signale. Ohne Positionsdaten verliert die Drohne ihre Orientierung, landet oder bleibt stehen.Beide Varianten gibt es als gerichtete (zielgerichtete) oder omnidirektionale Systeme – je nach Einsatzort und Risikoumfeld.


2. Spoofing

Das, was Russland aus Kaliningrad regelmäßig mit zivilem Luftverkehr demonstriert, lässt sich auch gegen Drohnen einsetzen: Täuschung durch gefälschte Signale.Spoofing nutzt Schwachstellen in Kommunikationsprotokollen aus, um falsche Geodaten zu platzieren oder sie funktionsunfähig zu machen.


3. Kinetische Systeme

Wenn Stören oder Täuschen nicht mehr hilft, bleibt die physische kinetische Abwehr:

Rund um die EURO 2024 haben Behörden verschiedene Systeme zum Schutz von Stadien beschafft und erprobt.


Aktuell stehen wir meist nur wenigen einzelnen Drohnen gegenüber; der echte taktische Mehrwert entsteht jedoch, wenn diese Systeme koordiniert in Schwärmen auftreten — idealerweise mit Abstimmung, unterschiedlichen Rollen (Aufklärung, Angriff, Stör-/Täuschkörper) und gegebenenfalls mit eingebrachten Täuschkörpern. Solche Schwärme können klassische Abwehrketten überlasten: Sensoren liefern mehr Kontakte als verarbeitet werden können, Entscheidungsschleifen verzögern sich und einzelne Abschusssysteme werden gebunden. Sobald mehrere, kleine und gleichzeitig auftretende Ziele koordiniert angreifen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Schutzmaßnahmen punktuell versagen.


Effektive Drohnenabwehr muss außerdem kosteneffizient sein. Es ist unrealistisch und unverhältnismäßig, jede einzelne Kleindrohne mit Kampfflugzeugen oder schweren Flugabwehrraketen zu bekämpfen. Deshalb gewinnen dünn belegbare, skalierbare Optionen an Bedeutung: elektronische Maßnahmen wie Jammingund Spoofing können mehrere Systeme gleichzeitig neutralisieren oder fehlleiten; im kinetischen Bereich bieten gerichtete Energiesysteme (Laser) potentiell eine präzise, schnelle und pro-Engagement günstige Alternative zu klassischen kinetischen Abwehrmaßnahmen. Die Herausforderung bleibt, diese Tools rechtlich, taktisch und organisatorisch so zu integrieren, dass sie im Ernstfall auch flächendeckend und zuverlässig wirken.


Drohnen als Instrument hybrider Kriegsführung – und darüber hinaus

Auch wenn viele der jüngsten Vorfälle in Europa mutmaßlich Russlands hybrider Kriegsführung zuzuschreiben sind, darf man den eigentlichen Grund für den globalen Drohnenboom nicht vergessen: Drohnen sind günstig, vielseitig, schwer zu attribuieren – und zivil verfügbar. Davon profitieren nicht nur staatliche Akteure, sondern zunehmend auch nichtstaatliche Gruppen wie Terrororganisationen oder die organisierte Kriminalität. Erste bestätigte Fälle zeigen, dass Drohnen auch hier längst zum Werkzeug geworden sind.


Fazit: Nicht blank, aber spät dran

Deutschland ist nicht völlig unvorbereitet – aber spät dran. Jetzt geht es um mehr als Technik:


  1. Koordination und einheitliche Strategie statt föderalem Stückwerk.

  2. Klare rechtliche Rahmenbedingungen, insbesondere für Zuständigkeit und Abwehrmaßnahmen.

  3. Vernetzung staatlicher und privater Akteure – von Behörden über Flughäfen bis zu Betreibern kritischer Infrastruktur.

  4. Sensibilisierung der Öffentlichkeit, um Panikmache und Hysterie zu vermeiden.


Drohnen spielen eine zentrale Rolle in der modernen Kriegsführung – insbesondere in hybriden Operationen – aber sie sind weder allmächtig noch unbesiegbar.In der Ukraine werden etwa iranische Shahed-Drohnen mittlerweile aus Flugzeugfenstern mit Handfeuerwaffen abgeschossen – pragmatisch, improvisiert, effektiv.


Gleichzeitig deutet sich an, dass einige Akteure den Handlungsbedarf erkannt haben und beginnen, ihn konkret anzugehen. Ein Beispiel ist das Cyber Innovation Hub der Bundeswehr, das unter dem Motto „Drohnenjäger aufgepasst – die Bundeswehr öffnet das Testfeld“ Hersteller von C-UAS-Systemen zu realitätsnahen Tests einlädt. Vom 20. bis 24. Oktober 2025 sollen auf dem Truppenübungsplatz Bergen zivile und militärische Entwickler ihre Lösungen gegen unbemannte Systeme unter realen Bedingungen demonstrieren.

Solche Initiativen zeigen, dass Deutschland zwar spät dran ist, aber langsam beginnt, den Rückstand in diesem sicherheitsrelevanten Feld aufzuholen – durch praktische Erprobung, Kooperation und eine neue Offenheit gegenüber innovativen Ansätzen.


ree

Bildquelle: CIH auf LinkedIn


Am Ende geht es auch um Kommunikation: Behörden, Sicherheitsakteure und Politik sollten sich frühzeitig überlegen, wie sie Vorfälle und Drohnenabwehrmaßnahmen öffentlich vermitteln. Denn auch hier gilt: Resilienz entsteht nicht nur durch Technik, sondern durch Vertrauen – und durch eine Kommunikation, die Sicherheit vermittelt, statt neue Unsicherheit zu erzeugen.

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