“America Must Rediscover Political Warfare” - Verlernen die USA das Kämpfen ohne Waffen?
- Tim Stark
- 10. Sept.
- 4 Min. Lesezeit
Die Vereinigten Staaten haben lange davon profitiert, das Militär auch für Probleme einzusetzen, die eigentlich politischer oder gesellschaftlicher Natur waren. Von der Terrorismusbekämpfung bis zu Stabilisierungsmissionen – das Pentagon und seine Spezialkräfte lieferten schnelle Ergebnisse, die innenpolitisch Erfolge signalisierten und den Zielen verschiedener Administrationen dienten. Doch was einst Stärke war, droht heute zur Schwäche zu werden. Die Abhängigkeit vom Militär hat eine gefährliche Schieflage erzeugt: Strategische Konflikte, die vor allem im Informationsraum, in der Diplomatie und in der Wirtschaft geführt werden, beantwortet Washington reflexartig mit militärischen Werkzeugen. Eine systemische Schwachstelle die feindliche Akteure zu ihren Gunsten nutzen. Genau hier setzen die beiden Angehörigen US amerikanischer Spezialeinheiten, Jack Barry und Daniel Elkins in ihrer Analyse “America Must Rediscover Political Warfare: The Pen Dictates the Sword” an – und warnen vor den Konsequenzen.
Übermilitarisierung als strategische Sackgasse?
Barry und Elkins zeichnen ein klares Bild: Wenn die USA weiterhin nahezu reflexartig auf das Verteidigungsministerium (DoD) und die Special Operations Forces (SOF) setzen, werden sie im globalen Wettbewerb dauerhaft ins Hintertreffen geraten. Denn viele der heutigen Konflikte finden in der „Grauzone“ statt – jenseits klassischer Kriegführung, aber weit entfernt von Frieden.
Die Autoren betonen, dass diese Übermilitarisierung nicht nur eine Ressourcenfrage ist. Sie sei Ausdruck einer begrifflichen und konzeptionellen Schieflage: In Washington werde der enge Begriff „Unconventional Warfare“ (UW) als Sammelbegriff für nahezu alle irregulären Aktivitäten verwendet. Dabei ist UW lediglich ein kleiner Teil von „Political Warfare“ – also dem gesamten Spektrum staatlicher Mittel zur Machtausübung unterhalb der Kriegsschwelle, von Diplomatie über Wirtschaftssanktionen bis zu verdeckten Operationen.

Bildquelle: eigene Aufnahme; Anapolis 2024
Ansätze aus China, Russland und dem Iran
Während die USA über Definitionen streiten, haben ihre Rivalen längst umfassende politische Kriegsführung institutionalisiert:
China setzt seit 2003 auf die „Three Warfares“-Doktrin (psychologisch, medial, juristisch), um ohne offene Gewalt geopolitische Fakten zu schaffen – etwa im Südchinesischen Meer.
Russland perfektionierte mit der „New Generation Warfare“Informationsdominanz. Die Krim-Annexion 2014 wurde mit Cyberangriffen, Desinformation und verdecktem Militäreinsatz fast ohne offene Kampfhandlungen erreicht.
Iran nutzt Stellvertreternetzwerke, um regionalen Einfluss auszuüben, ohne selbst massiv Truppen zu entsenden – sichtbar etwa bei Angriffen der Houthi-Rebellen auf saudische Ölanlagen.
Die gemeinsame Stärke dieser autoritären Modelle liegt in der Fähigkeit, diplomatische, ökonomische, militärische und informationelle Instrumente (DIME) auf ein Ziel auszurichten.
Strukturelle Schwächen des US “Political Warfare”
Die Vereinigten Staaten hingegen tun sich schwer, einen ähnlich integrierten Ansatz zu entwickeln. Checks and Balances sowie der (inzwischen schwindende) Anspruch an Transparenz verhindern eine zentralisierte, autoritär geprägte Koordination. Eigentlich sollte der National Security Council (NSC) die politische Kriegsführung ressortübergreifend steuern – in der Praxis herrscht jedoch Fragmentierung.
Besonders symbolträchtig ist in diesem Zusammenhang dieSchließung des Global Engagement Center im Jahr 2025. Mit diesem Schritt wurde eines der wenigen interagency-Instrumente zur Bekämpfung von Desinformation und Einflusskampagnen abgeschafft – ein Rückschlag im zentralen Feld moderner Konfliktführung.
Handlungsempfehlungen der beiden Autoren
Barry und Elkins schlagen deshalb in ihrem Kommentar für die Special Operations Association of America vor:
Begriffsklarheit herstellen: UW darf nicht länger als Synonym für politische Kriegsführung gelten.
Interagency-Kapazitäten ausbauen: State Department, Treasury und USAID müssen aufgewertet und finanziell gestärkt werden.
Klare Rollen definieren: Das DoD soll Unterstützer sein, nicht Hauptakteur.
Institutionalisierung vorantreiben: Gemeinsame Doktrinen und Ausbildung für alle beteiligten Behörden.
Ein dringender Appell – und eine ungewisse Zukunft
Der Kommentar ist letztlich ein Weckruf: Wenn die USA politische Kriegsführung nicht als gleichwertiges, integriertes Instrumentarium begreifen und praktizieren, werden sie weiterhin taktisch reagieren, anstatt strategisch zu agieren. In einer Welt, in der Rivalen ihren Einfluss ohne offene Schlachten ausbauen, droht den Vereinigten Staaten sonst der Verlust entscheidender, als given angesehener, geopolitischer Handlungsräume.
Heute, unter Donald Trumps zweiter Amtszeit, scheint in der US-Sicherheitspolitik vieles möglich – von drastischen Kurswechseln bis zu institutionellen Umbauten und einem Department of War. Doch trotz aller Ungewissheiten bleibt eines klar: Die Rivalität mit China wird unabhängig von Trump ein Kernthema der amerikanischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik bleiben.
Was bedeutet das für Europa – und Deutschland?
Die Analyse von Barry und Elkins richtet sich zwar an ein US-Publikum, doch die Schlussfolgerungen betreffen auch Europa unmittelbar. Gerade Deutschland, das in seiner Sicherheits- und Verteidigungspolitik traditionell stark auf Diplomatie, wirtschaftliche Hebel und multilaterale Strukturen setzt, muss zur Kenntnis nehmen, dass Washington weiterhin versucht, politische Probleme mit militärischen Werkzeugen zu lösen – mit allen Folgen für das transatlantische Verhältnis.
Für Deutschland ergeben sich daraus zwei zentrale Konsequenzen:
Eigenständige Resilienz stärken: Europa darf sich nicht darauf verlassen, dass die USA in der „Grauzone“ zwischen Krieg und Frieden automatisch die politischen und informationellen Herausforderungen abfangen. Im Gegenteil: Deutschland und die EU müssen eigene Kapazitäten in der strategischen Kommunikation, im Schutz vor Desinformation und im wirtschaftlichen Statecraft ausbauen.
Transatlantische Koordination erweitern: Durch Trumps rücksichtslose Politik auf Bundesebene greifen immer mehr US-Bundesstaaten selbst zur Initiative und starten Programme zur Bekämpfung ausländischer Einflusskampagnen. Vor allem hier können sich im transatlantischen Verhältnis neue Partnerschaften entwickeln – etwa zwischen deutschen Institutionen und einzelnen Bundesstaaten, die bereit sind, Informationssicherheit und demokratische Resilienz aktiv zu fördern.
Die zentrale Botschaft für Europa lautet daher: Ob Washington politische Kriegsführung neu denkt oder nicht – Deutschland muss eigene strategische Fähigkeiten jenseits des Militärischen entwickeln und gleichzeitig, wo möglich, die transatlantische Zusammenarbeit in diesem Bereich intensivieren. Nur so bleibt Europa ein relevanter Partner in einer Welt, in der politische Konflikte zunehmend ohne Panzer und Raketen entschieden werden.





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