Wie „harmlose“ InfluencerInnen Teil des Informationskriegs werden können
- anamariakoridze
- 23. Sept.
- 5 Min. Lesezeit

Wer sich mit russischen Desinformationsnetzwerken beschäftigt, stößt schnell auf eine kaum überschaubare Landschaft: Sie reicht von staatlich koordinierten Trollfabriken über Bots, die in Wahlkämpfen weltweit Stimmungen manipulieren, bis hin zu offen kriegsbefürwortenden „Z-Bloggern“, die Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine verherrlichen. In früheren Ausgaben haben wir bereits unterschiedliche Facetten beleuchtet: von der Inszenierung russischer Reality-TV-Shows als Propagandainstrument bis hin zur Popkultur (siehe heutige Artikel).
Das Spektrum ist enorm: Während beispielsweise Trollarmeen die US-Präsidentschaftswahl 2024 oder die Bundestagswahl 2025 gezielt beeinflussen wollten, gibt es parallel dazu lokale InfluencerInnen in den besetzten ukrainischen Gebieten. Diese „Vlogger“ veröffentlichen auf den ersten Blick harmlose Beiträge über Cafés im zerstörten Mariupol, loben „Onkel Wowa“ (Wladimir Putin) für die angebliche Rettung der Bevölkerung oder produzieren ganze Reiseshows in den sogenannten „Volksrepubliken“. Das Ziel besteht darin, das Leben unter russischer Besatzung als normal, ja sogar als verbessert darzustellen und junge Content-CreatorInnen dazu zu befähigen, diese Botschaft weiterzutragen.
Der Beruf „Influencer:in“ ist in Russland längst politisch
Mit Propaganda allein ist es allerdings nicht getan. Auch rechtliche Rahmenbedingungen verändern die digitale Öffentlichkeit massiv. So gilt in Russland seit Sommer 2024 ein neues Gesetz: Ab 2025 müssen alle Blogs und Social-Media-Kanäle mit mehr als 10.000 FollowerInnen staatlich registriert sein, um weiterhin Werbung schalten oder Spenden annehmen zu dürfen.
Wer sich registriert, erhält eine Identifikationsnummer, die in der Kanalbeschreibung öffentlich sichtbar gemacht werden muss. Nur so können die Behörden sicherstellen, dass der Kanal „echt“ ist. Wer sich weigert, verliert nicht nur seine Einnahmequellen, sondern auch alle Nutzer:innen, die Inhalte von „nicht verifizierten“ Seiten teilen, riskieren Sanktionen.
Damit ist der Status „InfluencerIn“ in Russland de facto keine private Angelegenheit mehr. Sichtbarkeit bedeutet Registrierung, Registrierung bedeutet Kontrolle. Damit sind weder Transparenz noch Meinungsfreiheit gemeint, sondern ein engmaschiges System staatlicher Überwachung.
Zwischen Alltagsdarstellung und subtiler Propaganda
Doch jenseits der offen staatsnahen Szene existiert eine schwerer zu durchschauende Grauzone. Sie reicht von Reise-Vlogs und Lifestyle-Kanälen bis hin zu Projekten, die bewusst „Positivität“ und „Verbindungen zwischen Menschen“ betonen. Auf den ersten Blick wirken sie unpolitisch, doch im Kontext des Angriffskriegs gegen die Ukraine wirft selbst solch vermeintlich harmloser Content Fragen auf.
Ein Beispiel ist der YouTube-Kanal Discover Connection mit fast 1,5 Millionen AbonnentInnen. Das Konzept des Kanals ist es, zu zeigen, dass Freundschaften überall möglich sind, unabhängig von Sprache oder Herkunft. Eines der erfolgreichsten Videos trägt den Titel „Asking Russians to Cook Them Dinner in Their Home“ und verzeichnet über 2,4 Millionen Aufrufe. Die Grundidee wirkt zunächst unschuldig: Westliche Reisende besuchen russische Familien und erleben Gastfreundschaft im Alltag.
Doch schon beim genaueren Hinsehen ergeben sich Dilemmata:
Ist es vertretbar, während eines laufenden Angriffskriegs überhaupt nach Russland zu reisen?
Bringt man die porträtierten Menschen nicht in Gefahr, wenn sie ungefiltert vor der Kamera sprechen, in einem Land, in dem Zensur und Überwachung allgegenwärtig sind?
Und vor allem: Wo verläuft die Grenze zwischen authentischer Alltagsdarstellung und einer (gewollten oder ungewollten) Normalisierung des russischen Systems?
Die Herangehensweise der InfluencerInnen ist subtil. Sie betonen, dass sie niemanden gefährden wollten, und thematisieren die Frage, ob es moralisch vertretbar ist, in Zeiten eines Angriffskriegs nach Russland zu reisen. Das Video wirkt leicht und unterhaltsam und ist professionell produziert. Es vermittelt authentische Eindrücke aus dem ländlichen Alltag, und gerade darin liegt seine Faszination. In gewisser Weise hat es seine Daseinsberechtigung, da es eine Wirklichkeit zeigt, die sich nicht vom geopolitischen Kontext trennen lässt.
Der Fall „Sam’s Russian Adventures“
Dieses Spannungsfeld wird noch deutlicher, wenn man sich anschaut, mit wem Discover Connection in Russland kooperiert. In dem Video taucht Sam auf, ein britischer Blogger, der seit über 20 Jahren in Russland lebt und den Kanal Sam’s Russian Adventures betreibt. Mit knapp 75.000 AbonnentInnen ist er zwar kein Massenphänomen, doch seine Präsenz ist stabil, der Kanal existiert seit über sieben Jahren.
Seine Videos tragen Titel wie:
Es ist eine Mischung aus Alltagsbeobachtung, Folklore-Romantik und einem unterschwelligen Gegennarrativ zur westlichen Berichterstattung. Auf den ersten Blick ist vieles davon banal, ja beinahe kitschig. Doch es lohnt sich, genauer hinzusehen.
Das erste Video, das auf seiner Kanalseite angezeigt wird, heißt „Proof KGB choose my video topics – Caught on secret surveillance camera“. Darin spielt Sam ironisch mit dem Vorwurf, er produziere staatlich gelenkten Content. Er findet zufällig unter einem Cafétisch neue Themenvorschläge. Das Ganze soll humorvoll sein, relativiert jedoch unterschwellig die Frage nach Nähe zum Staat und macht sie lächerlich.
Bei genauerer Betrachtung des Archivs tauchen problematische Muster auf. Sam inszeniert sich gerne als kritischer Beobachter, der „ehrlich“ über Russland spricht. In einem Video mit dem Titel „10 Things I Hate About Russia“ listet er beispielsweise Alltagsärgernisse wie lästige Spam-Anrufe auf, vermeidet es jedoch auffällig, über strukturelle Probleme oder politische Repression zu sprechen. Selbst in einem vermeintlich kritischen Format wird die Realität also weichgespült und subtil relativiert.
Noch auffälliger sind seine jüngeren Projekte. Auf seiner Website bietet er „kostenlose Beratung“ für Menschen an, die nach Russland ziehen möchten. Die Themenpalette ist breit: Dazu gehören Aufenthaltsgenehmigungen, Staatsbürgerschaft, russische Visa, Ausbildungsmöglichkeiten, Unternehmensgründungen, Gesundheitsversorgung, Jobs, Immobilien und sogar Eheschließungen. Flankiert wird dies von Angeboten, die diese Themen aufgreifen, etwa unter den Rubriken „Dating in Russia“ oder „Make Money Online“. Wie er dabei genau vorgeht, bleibt unklar. Er betont jedoch immer wieder, dass er kein Betrüger sei, sondern „echte“ Wege aufzeigen wolle, um nicht in Fallen zu geraten.
Natürlich ist nicht jeder, der Auswanderungshilfe leistet, automatisch ein staatlicher Propagandist. Die Nähe zur offiziellen Strategie ist jedoch unübersehbar: Russland bemüht sich seit Jahren, gezielt ausländische Fachkräfte und „Sympathieträger“ anzulocken, um ein positives Bild nach außen zu vermitteln. Dass Sam diese Agenda in seiner Nische mitträgt – ob bewusst oder unbewusst – ist zumindest bemerkenswert.
Die Grauzone der „Unschuld“
Genau hier zeigt sich das Kernproblem: Nicht jede Person, die den russischen Alltag darstellt, ist automatisch eine Propagandastimme. Und dennoch entfalten solche Inhalte eine Wirkung. Wer lachende Freunde beim Abendessen zeigt, während zeitgleich ukrainische Städte bombardiert werden, trägt zu einer gefährlichen Normalisierung bei.
Die Grenzen verschwimmen. Zwischen harmloser Kulturvermittlung und subtiler Propaganda liegen oft nur Nuancen, die für Außenstehende schwer erkennbar sind. Manche dieser InfluencerInnen handeln naiv, andere durchaus kalkuliert. Am Ende verstärken sie aber ein Narrativ: dass Russland trotz allem ein „normales Land“ sei, in dem das Leben weitergehe, während politische und militärische Gewalt ausgeblendet wird.
Warum das relevant bleibt:
Die Auseinandersetzung mit dieser Grauzone ist mehr als eine akademische Übung. Sie betrifft das grundlegende Verständnis von Desinformation: Propaganda ist nicht immer laut, aggressiv oder plakativ. Sie funktioniert auch leise, charmant und im Gewand von Alltagsgeschichten.
Und sie erreicht Zielgruppen, die den klassischen Staatsmedien längst nicht mehr vertrauen würden.
Deshalb lohnt es sich, genau hinzusehen. Nicht jeder InfluencerIn ist ein Propagandist, aber nicht jede Darstellung des „alltäglichen Russlands“ ist unschuldig. In dieser Ambivalenz steckt die eigentliche Gefahr: Manchmal genügen subtile Narrative, um Zweifel zu säen, die Realität zu verzerren und das Bild eines Krieges zu schönen.





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