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Nationaler Sicherheitsrat, Wehrpflicht und Sabotage - Ergebnisse der Kabinettssitzung im Bendlerblock und was noch offen ist

Gestern tagte das Bundeskabinett an einem ungewohnten Ort: im Bendlerblock in Berlin, dem heutigen Sitz des Bundesministeriums der Verteidigung. Normalerweise finden die Kabinettssitzungen im Bundeskanzleramt statt – der Wechsel in das historische Gebäude unterstreicht daher die besondere Symbolkraft dieses Treffens. Der Bendlerblock ist nicht nur Schaltzentrale deutscher Verteidigungspolitik, sondern auch ein zentraler Erinnerungsort: Hier organisierten Offiziere des Widerstands das Attentat vom 20. Juli 1944 gegen Hitler und heutige Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Dass das Kabinett nun dort zusammenkam, macht deutlich, wie eng aktuelle sicherheitspolitische Herausforderungen mit historischen Erfahrungen und Fragen nach Verantwortung, Wehrhaftigkeit und Demokratie verknüpft sind.


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Die Tagesordnung spiegelte diese sicherheitspolitische Ausrichtung wider – behandelt wurden unter anderem:


-       Zunächst stand eine Aussprache zur Sicherheitslage mit US-General Alexus G. Grynkewich auf der Tagesordnung. In seiner Funktion als Supreme Allied Commander Europe (SACEUR) ist er der oberste militärische Befehlshaber der NATO in Europa und verantwortlich für Verteidigungsplanung und -führung. Zugleich leitet er in Personalunion das United States European Command (USEUCOM), dass die US-Streitkräfte in Europa führt – ein Doppelmandat, das die enge Verzahnung von NATO- und US-Strukturen unterstreicht und für Deutschland als zentrales Stationierungsland besondere sicherheitspolitische Bedeutung hat.


-       Unter Leitung des BMI hat die Bundesregierung Eckpunkte zur Stärkung der Cybersicherheit beschlossen, die unter anderem den Aufbau eines „Cyberdomes“, erweiterte Befugnisse für Sicherheitsbehörden sowie gemeinsame Übungen der Ministerien vorsehen. Damit reagiert sie auf die wachsende Zahl professioneller und hybrider Angriffe, von denen Deutschland als zentrale Wirtschaftsnation und Knotenpunkt von NATO und EU besonders betroffen ist.


-       Die Bundesregierung will ihre sicherheitspolitischen Entscheidungsprozesse künftig stärker bündeln und transparenter machen – mit einem Nationalen Sicherheitsrat (NSR). Die Idee dazu ist nicht neu: Bereits seit mindestens 2016 wurde in Fachkreisen über ein solches Gremium diskutiert, um die ressortübergreifende Koordination von Sicherheitsfragen zu verbessern. Im Koalitionsvertrag hatten die Regierungsparteien die Einrichtung schließlich fest vereinbart (Absatz 3989 – 3997) – auch als Reaktion auf eine zunehmend komplexe Bedrohungslage, die durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine noch einmal deutlich verschärft wurde. „Dieses Gremium wird eine zentrale Plattform der Bundesregierung für übergreifende Fragen nationaler Sicherheit sein“, betonte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) nach der Kabinettssitzung. Der NSR soll künftig Wissen und Kompetenzen aus innerer, äußerer, wirtschaftlicher und digitaler Sicherheitspolitik bündeln. Während die Bundesregierung und ihre Behörden bereits über eine Fülle von Informationen und Expertise verfügen, blieben diese bislang aufgrund der Arbeit in getrennten Ressorts vielfach unverbunden. Der Sicherheitsrat soll diese Lücke schließen, indem er Lagebilder zusammenführt, Entscheidungen vorbereitet und – soweit verfassungsrechtlich möglich – selbst trifft. Er soll zudem strategische Vorausschau leisten, mittel- und langfristige Bedrohungen identifizieren sowie die Fortschreibung der Nationalen Sicherheitsstrategie begleiten. Dazu kommen Krisensimulationen und sicherheitspolitische Übungen, mit denen die Resilienz Deutschlands gestärkt werden soll. Unter Vorsitz des Bundeskanzlers gehören dem Rat die Ressortchefs für Finanzen, Inneres, Auswärtiges, Justiz, Wirtschaft, Verteidigung, Entwicklungszusammenarbeit sowie Digitalisierung an; weitere Regierungsmitglieder können je nach Bedarf hinzugezogen werden. Ergänzend ist vorgesehen, Vertreterinnen und Vertreter der Länder, von EU und NATO, internationaler Organisationen sowie von Wissenschaft und Think-Tanks einzubeziehen. So soll gewährleistet werden, dass Deutschland auf eine umfassende „Informationsumgebung“ zugreifen kann, wenn es um zentrale Sicherheitsentscheidungen geht. Im Koalitionsvertrag wurde neben dem Sicherheitsrat auch die Einrichtung eines Nationalen Krisenstabs sowie eines Nationalen Lagezentrums im Bundeskanzleramt angekündigt. Beide Institutionen sollen langfristig eine ganzheitliche Krisenbewältigung ermöglichen, indem sie operative Koordination und ein ressortübergreifendes Lagebild sicherstellen. Zunächst aber konzentriert sich die Bundesregierung auf den Aufbau des NSR – „wir fangen jetzt einfach mal an“, heißt es dazu aus Regierungskreisen. Der Kanzler spricht von einem „wichtigen Baustein für unseren Ansatz einer Sicherheitspolitik aus einem Guss“: Denn Sicherheit sei nicht einem Ressort allein zuzuordnen, sondern betreffe Staat und Gesellschaft als Ganzes. Doch wie konkret und wirksam der Nationale Sicherheitsrat am Ende tatsächlich handeln wird, bleibt abzuwarten.


-       Des Weiteren wurde im Kabinett der Gesetzentwurf zur Stärkung der Militärischen Sicherheit in der Bundeswehr beschlossen, mit dem die Bundesregierung auf die veränderte Sicherheitslage in Europa reagiert und die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands sowie des NATO-Bündnisses erhöhen will. Vorgesehen sind unter anderem eine Stärkung des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), verbesserte Sicherheitsüberprüfungen, neue Befugnisse für Feldjäger sowie Maßnahmen zum besseren Schutz von Soldatinnen und Soldaten – auch bei Auslandseinsätzen wie in Litauen. Das es im Kontext Operativer Sicherheit bei der Bundeswehr, wie auch bei vielen anderen Streitkräften, Handlungsbedarf gibt zeigen wir auch im näachten Artikel.


-       Das wahrscheinlich kontroverseste Thema der Kabinettssitzung ist die Einführung eines neuen Wehrdienstes, der sich am schwedischen Modell orientiert und zunächst auf Freiwilligkeit setzt. Ziel ist es, die Reserve sowie die aktive Truppe der Bundeswehr zu stärken, indem alle 18-jährigen Deutschen künftig digital erfasst und nach Eignung ausgewählt werden – mit der Möglichkeit, bei verschärfter Sicherheitslage auch eine verpflichtende Einberufung einzuführen. Der neue Wehrdienst ersetzt den bisherigen Freiwilligen Wehrdienst, bietet attraktivere Bedingungen für Soldatinnen und Soldaten und soll zugleich langfristig die NATO-Fähigkeitsziele absichern.


-       Im Kabinett wurde zusätzlich die Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an UNMISS im Südsudan sowie an der EU-Operation EUNAVFOR ASPIDES beschlossen; zusätzlich auf der TOP-1 Liste: Eine Stellungnahme des BMJV zum Entwurf eines Gesetzes zum strafrechtlichen Schutz vor Deepfakes des BR (BR-Drs. 272/25 – Beschluss).


Was wir wissen - und was noch nicht

Die Kabinettssitzung im Bendlerblock zeigt, dass die Bundesregierung ihre sicherheitspolitischen Strukturen neu ordnen will – vom Nationalen Sicherheitsrat bis hin zum geplanten neuen Wehrdienst. Doch dabei bleiben wichtige Fragen offen: Beim NSR geht es nicht nur um die Bündelung von Wissen und Kompetenzen, sondern auch um die Frage, wie eine einheitliche strategische Kommunikation aussehen kann, um Desinformation und ausländische Einflusskampagnen wirksam zu begegnen. Denn hybride Bedrohungen bestehen nicht allein aus militärischer Gewalt oder Cyberangriffen, sondern auch aus gezielten Versuchen, öffentliche Debatten zu spalten und Vertrauen in staatliches Handeln zu untergraben. Schon vor der letzten Bundestagswahl kursierten etwa Desinformationsnarrative rund um eine angeblich „geheime Rückkehr der Wehrpflicht“ – ein Vorgeschmack darauf, wie kontrovers die Diskussion über den neuen Wehrdienst auch künftig geführt werden dürfte. Damit wird deutlich: Wehrhaftigkeit bedeutet heute nicht nur mehr Material und Personal, sondern auch eine widerstandsfähige Gesellschaft, die mit Manipulationsversuchen umgehen kann. Ob der Nationale Sicherheitsrat dazu konkrete Antworten liefern wird und ob der neue Wehrdienst ohne massiven Vertrauensverlust eingeführt werden kann, bleibt die entscheidende Frage. Möglich ist auch, dass der im Koalitionsvertrag zusätzlich angekündigte Nationale Krisenstab und das Nationale Lagezentrum den NSR künftig in eine breitere Sicherheitsarchitektur einbetten – ob und wie das gelingt, bleibt jedoch offen.

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