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Flop bei VLOP: Warum TikTok Pro den DSA nicht aushebelt

Aktualisiert: 14. Nov.

Screenshot via Apple App Store
Screenshot via Apple App Store

Im schnelllebigen Berufsalltag der Social Media-InfluencerInnen und Twitch-StreamerInnen ließe sich argumentieren, Kevin A. Teller aka Papaplatte wäre mit seiner Entdeckung von TikTok Pro fast „spät“ dran. Teller, dem auf Twitch fast 3 Mio. Menschen folgen, gehört aktuell zu den reichweitenstärksten StreamerInnen in Deutschland. Am 08.Oktober 2025 veröffentlichte er auf YouTube ein Video, in dem er erstmals die neue Variante der TikTok-App selbst ausprobiert und quasi „testet“.

Vorgestellt wurde TikTok Pro bereits am 01.August 2025 und wird aktuell in ausgewählten europäischen Ländern (z. B. Deutschland, Portugal, Spanien) getestet. Die Kernfeatures der neuen, professionellen Version unterscheidet sich in einigen wenigen Aspekten von der ursprünglichen Variante:

Funktionale und inhaltliche Charakteristika der werbefreien TikTok-Variante

· Werbefreie Nutzungserfahrung Ein zentrales Merkmal von TikTok Pro ist der vollständige Verzicht auf Werbeeinblendungen. Während die Standardversion der Plattform durch algorithmisch platzierte kommerzielle Anzeigen geprägt ist, wird in TikTok Pro bewusst auf Werbung verzichtet. Dies reduziert die kognitive Belastung der NutzerInnen und schafft eine konzentriertere Rezeptionsumgebung (OnlineMarketing.de, 2025; Social Media Today, 2025).


· Ausschluss kommerzieller Zusatzfunktionen Zusätzlich verzichtet TikTok Pro auf Livestreaming- und Shopping-Funktionen, die in der klassischen Version integraler Bestandteil sind (Inventrium Magazine, 2025). Durch die Entfernung dieser kommerziell geprägten Interaktionsmöglichkeiten wird die Anwendung stärker auf den passiven Medienkonsum und die inhaltliche Rezeption ausgerichtet.


· Inhaltliche Gleichheit bei reduziertem Kommerzialisierungsgrad 

Die in TikTok Pro verfügbaren Inhalte entsprechen weitgehend jenen der Standardversion. Der Unterschied manifestiert sich primär in der Abwesenheit kommerzieller Zusatzfunktionen und Interaktionselemente, nicht jedoch in der Art, Vielfalt oder Qualität des Content-Angebots (Tech Crunch, 2025). Damit bleibt die Plattform inhaltlich konsistent, während der Grad an Kommerzialisierung signifikant reduziert wird.


· Das „Sunshine“-Programm als partizipatives Spendenmodell

Ein innovatives Element von TikTok Pro stellt das sogenannte Sunshine-Programm dar. NutzerInnen haben die Möglichkeit, durch alltägliche Interaktionen — etwa das Liken, Teilen oder Folgen bestimmter Charity-Accounts — virtuelle Punkte zu generieren, die anschließend wohltätigen Organisationen zugeordnet und von TikTok in reale Spenden konvertiert werden (OnlineMarketing.de, 2025; RouteNote, 2025). Dieses Modell etabliert eine niedrigschwellige Form digitalen Engagements und verbindet Alltagsnutzung mit sozialer Wirkung.


· Fokusverschiebung auf positive und edukative Inhalte

Die bewusste Eliminierung von Werbe- und Shoppingelementen ermöglicht eine stärkere Fokussierung auf Inhalte mit unterhaltendem, inspirierendem oder bildendem Charakter (Social Media Today, 2025). Durch diese strategische Strukturverschiebung soll die Plattform nicht nur ein ruhigeres und konzentrierteres Nutzungserlebnis fördern, sondern auch die inhaltliche Qualität und gesellschaftliche Wertigkeit des Angebots steigern.

TikTok Pro zielt also auf eine werbefreie und weniger kommerzialisierte Nutzererfahrung ab (Social Media Today, 2025) und wurde mit dem Ziel konzipiert, Ablenkungselemente zu reduzieren und den Fokus stärker auf die Rezeption und Interaktion mit Inhalten zu legen.

Von besonderer Relevanz ist jedoch, dass die vom chinesischen Unternehmen ByteDance entwickelte App bereits aufgrund mutmaßlicher Verstöße gegen den Digital Services Act sowie jugendschutzrechtlicher Bestimmungen Gegenstand behördlicher Beanstandungen und Sanktionsverfahren war. Und dabei wird noch die gezielte Verwendung der Plattform zur Verbreitung zumindest fragwürdiger Inhalte speziell durch Vertreter der AfD wie Maximilian Krah ausgeblendet.


Regulierung, Datenschutz und Grundrechte im europäischen Kontext


Aus juristischer Perspektive stellt sich die Frage, inwieweit die Strukturveränderung mit der Einführung von TikTok Pro Auswirkungen auf die rechtliche Bewertung nach geltendem europäischem Digitalrecht hat und ob diese eine (Teil-)Entlastung von Regulierungsanforderungen bewirkt oder lediglich eine Modifikation der Risikostruktur darstellt. Die neue, erweiterte App ist — trotz seines abweichenden Funktionsprofils — kein rechtlich eigenständiger Anbieter, sondern eine Variante des bestehenden TikTok-Ökosystems. Die zentrale Einstufung als „Very Large Online Platform“ (VLOP) im Sinne des Art. 33 DSA bleibt somit unberührt, da die maßgebliche Nutzerbasis weiterhin der Mutterplattform zugerechnet wird. ByteDance kann sich daher nicht durch die Einführung einer abgewandelten App-Version der Anwendung der DSA-Vorgaben entziehen. Die werbefreie Ausgestaltung hat allerdings regulatorische Implikationen für einzelne Verpflichtungskomplexe, speziell für den DSA oder die DSGVO. Obwohl durch den Verzicht auf klassische Werbung bestimmte Transparenzpflichten im Sinne von Art. 39 DSA, insbesondere hinsichtlich der Offenlegung und Archivierung von Anzeigen, für TikTok Pro entfallen, betrifft diese Reduktion lediglich einen eng umgrenzten Teilbereich der regulatorischen Anforderungen und führt nicht zu einer generellen Entlastung des Plattformbetreibers. Unabhängig vom Werbemodell bestehen weiterhin umfassende Verpflichtungen zum Risikomanagement nach Art. 34 f. DSA, die insbesondere die Analyse und Minderung von Risiken im Zusammenhang mit algorithmischen Empfehlungssystemen, der Verbreitung potenziell schädlicher Inhalte sowie deren Auswirkungen auf die öffentliche Meinungsbildung umfassen. Darüber hinaus bleibt TikTok Pro nach Art. 27 DSA zur Gewährleistung algorithmischer Transparenz verpflichtet, indem NutzerInnen über die Funktionsweise und Parameter der Empfehlungssysteme informiert und ihnen nicht-personalisierte Nutzungsmöglichkeiten bereitgestellt werden müssen. Insgesamt führt das werbefreie Geschäftsmodell somit nicht zu einer Befreiung von den zentralen Pflichten des DSA, sondern lediglich zu einer Modifikation einzelner Transparenzanforderungen in werbebezogenen Teilbereichen.

Auch für TikTok Pro gelten die Vorgaben der DSGVO uneingeschränkt. Zwar kann der Wegfall personalisierter Werbung den Umfang einzelner Datenverarbeitungsprozesse, insbesondere im Bereich der Profilbildung zu Marketingzwecken, reduzieren, doch bleibt die grundlegende Verarbeitung personenbezogener Daten zur Inhaltskurierung, Nutzeranalyse und Steuerung der Plattform bestehen. Zentrale rechtliche Anforderungen ergeben sich dabei insbesondere aus Art. 6 DSGVO, wonach sämtliche Verarbeitungsvorgänge auch bei reduzierter Kommerzialisierung auf eine tragfähige Rechtsgrundlage zu stützen sind. Hinzu kommt die Problematik der Datenübermittlung in Drittländer gemäß Art. 44 ff. DSGVO, da die potenzielle Weitergabe an den Mutterkonzern in China weiterhin erhebliche Fragen im Hinblick auf das Schutzniveau und die Einhaltung der EuGH-Vorgaben aus dem Schrems-II-Urteil aufwirft. Besondere Bedeutung hat darüber hinaus der Schutz Minderjähriger nach Art. 8 DSGVO, der angesichts der jungen Zielgruppe von TikTok Pro ein zentrales Prüfungsfeld bleibt. Insgesamt kann das werbefreie Modell datenschutzrechtliche Risiken zwar quantitativ mindern, indem bestimmte Datenkategorien entfallen, qualitativ bleiben jedoch die zentralen Problembereiche des Datenschutzrechts bestehen.

Die spezifische Ausgestaltung der App führt zu einer Verschiebung, jedoch nicht zu einer Aufhebung des grundrechtlichen Abwägungsgefüges. So bleibt die Kommunikationsfreiheit nach Art. 11 GRCh gewahrt, da NutzerInnen ihre Möglichkeiten zur Meinungsäußerung und Informationsrezeption unverändert behalten, während potenzielle Beeinträchtigungen durch Werbeeinflüsse reduziert werden. Gleichzeitig kann der Verzicht auf kommerzielle Inhalte und interaktive Shopping-Funktionen als Stärkung des Schutzguts des Art. 24 GRCh interpretiert werden, da hierdurch Expositionsrisiken für Minderjährige gesenkt werden. Dennoch bleibt die Plattform ein intermediärer Akteur, der über algorithmische Steuerungsmechanismen wirkt, sodass Fragen nach Transparenz, möglicher Diskriminierung durch Ranking-Systeme und Zugangsoffenheit fortbestehen. Insgesamt kann TikTok Pro somit in begrenztem Umfang zur Stärkung des Jugendschutzes beitragen, ohne jedoch die bestehenden grundrechtlichen Spannungsverhältnisse vollständig aufzulösen.

Medienrechtlich führt die Einführung von TikTok Pro zu keiner grundlegenden Veränderung der regulatorischen Struktur: Die Plattform bleibt ein Medienintermediär, der Inhalte kuratiert und verbreitet, sodass die bestehenden nationalen Aufsichtsmechanismen — etwa durch die Landesmedienanstalten in Deutschland — ihre Zuständigkeit behalten. Durch den Wegfall von Werbung und Shoppingfunktionen verschiebt sich jedoch die funktionale Einordnung der Plattform: Sie tritt weniger als kommerzieller Intermediär, sondern verstärkt als kuratierender Inhaltsvermittler auf. Diese veränderte Schwerpunktsetzung kann aufsichtsrechtliche Implikationen haben, insbesondere im Hinblick auf Anforderungen an die Werbekennzeichnung, den Jugendschutz sowie medienrechtliche Transparenzpflichten.


Keine Umgehung der Regulierung, sondern Modifikation der Risikostruktur


Insgesamt bewirkt die Einführung von TikTok Pro keine rechtliche Entlastung im Sinne einer Umgehung bestehender Normen, sondern führt vielmehr zu einer veränderten Risikostruktur, die innerhalb des bestehenden Regulierungsrahmens adressiert werden muss. Die zentralen Rechtsregime — insbesondere der DSA, die DSGVO sowie medienrechtliche Vorschriften — bleiben uneingeschränkt anwendbar. Aus juristischer Perspektive lassen sich dabei mehrere Befunde ableiten: Erstens führt die werbefreie Ausgestaltung nicht zur Umgehung des DSA, da die Einstufung als VLOP maßgeblich bleibt; lediglich einzelne Transparenzpflichten wie jene zur Werbekennzeichnung werden reduziert, während zentrale Verpflichtungen etwa im Bereich algorithmischer Transparenz und Risikomanagement unverändert fortbestehen. Zweitens bleiben datenschutzrechtliche Herausforderungen bestehen, insbesondere im Hinblick auf Drittlandsübermittlungen und den Schutz Minderjähriger. Drittens werden grundrechtliche Konfliktlinien zwar abgeschwächt — etwa durch die Reduktion von Expositionsrisiken —, die grundlegende Abwägung zwischen Kommunikationsfreiheit und staatlichen Schutzpflichten jedoch nicht aufgehoben. Schließlich handelt es sich aufsichtsrechtlich nicht um eine Entlastung, sondern um eine funktionale Verschiebung: Nationale und europäische Aufsichtsbehörden müssen TikTok Pro als Variante einer bestehenden Plattform regulieren und nicht als eigenständiges Regulierungsobjekt.

Die Einführung der neuen App-Variante kann als Strategie zur Anpassung an verschärfte europäische Regulierung interpretiert werden. Aus juristischer Sicht ist entscheidend, dass Plattformvarianten nicht als „Schlupflöcher“ genutzt werden, um regulatorische Verpflichtungen zu umgehen. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Europäische Kommission — gestützt auf den DSA — einheitliche Aufsichts- und Prüfverfahren auch auf TikTok Pro anwenden wird.

Langfristig könnte die Reduktion kommerzieller Elemente zu geringeren systemischen Risiken führen. Dies ersetzt jedoch nicht die Notwendigkeit einer wirksamen Rechtsdurchsetzung in zentralen Bereichen wie Datenschutz, Algorithmustransparenz und Jugendschutz.

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