Moldau im Fokus: Die Parlamentswahlen 2025 als weiteres Schlachtfeld russischer Desinformationskampagnen
- anamariakoridze
- 10. Sept.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 5 Tagen

In diesem Herbst steht Moldau erneut vor einer entscheidenden Wahl. Ende September, also in wenigen Wochen, wird ein neues Parlament gewählt, und schon jetzt ist absehbar, dass dieser Urnengang nicht allein durch innenpolitische Debatten bestimmt wird, sondern dass er massiv von außen beeinflusst werden soll. Seit Jahren ist die kleine Republik im Osten Europas Zielscheibe russischer Propaganda. Doch die Intensität, mit der Moskau in den vergangenen Monaten Desinformationen verbreitet und digitale Angriffe durchführt, erreicht eine neue Qualität. Im Zentrum steht dabei das Ziel, das Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben und den europäischen Kurs des Landes zu schwächen.
Bereits im vergangenen Jahr hatten BeobachterInnen auf die Versuche hingewiesen, das EU-Referendum und die Präsidentschaftswahlen 2024 zu destabilisieren. In der vierten Ausgabe unseres Newsletters haben wir bereits dargestellt, wie koordinierte Kampagnen darauf abzielen, das Vertrauen in Moldaus demokratische Institutionen zu erschüttern. Nun, da die Parlamentswahl bevorsteht, zeigt sich ein ähnliches Muster.
Internationale Unterstützung: Deutschland, Frankreich und Polen signalisieren Beistand
Unmittelbar vor der Parlamentswahl setzte ein Besuch in Chișinău ein starkes Zeichen der Solidarität. Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz sprach von einer Situation, in der Moldau „keinen einzigen Tag“ ohne hybride Angriffe aus Russland auskommen müsse. Diese Attacken träfen nicht nur digitale Systeme, sondern zielten im Kern auf die demokratischen Strukturen des Landes, online ebenso wie im öffentlichen Raum. Gerade deshalb sei es entscheidend, dass Moldau die Unterstützung Europas und Deutschlands spüre, so Merz.
Merz wurde von dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem polnischen Premierminister Donald Tusk begleitet. Die drei Staats- und Regierungschefs nahmen gemeinsam am moldauischen Unabhängigkeitstag teil. Präsidentin Maia Sandu empfing sie in Chișinău. Dieser Auftritt ging weit über symbolische Gesten hinaus und vermittelte die klare Botschaft, dass Moldau im Kampf gegen Desinformation und Einflussversuche nicht auf sich allein gestellt ist.
Sandu nutzte die Gelegenheit, um die Gefahr russischer Einflussnahme deutlich anzusprechen. Für Moldau gebe es keine Alternative zu Europa, erklärte sie. Gerade der Krieg in der Ukraine zeigt, dass die europäische Gemeinschaft für Freiheit und Sicherheit steht. Zugleich warnte sie vor gezielten Störmanövern Moskaus. Neben manipulativen Informationskampagnen gebe es Hinweise auf bezahlte Demonstrationen und organisierte Provokationen, die das Land destabilisieren sollen.
Die Matryoshka-Kampagne: Russlands raffinierte Propagandamaschine
Die derzeit gegen Moldau laufende Desinformationskampagne, die bei weitem sichtbarste und einflussreichste, trägt den Namen „Matryoshka“ – in Anlehnung an die russischen Schachtelpuppen.
Das Matryoshka-System funktioniert nach einem zweistufigen Prinzip. Zunächst veröffentlicht eine kleine Gruppe von Accounts gefälschte Inhalte, die wie authentische Nachrichten aussehen sollen. Anschließend greifen andere Profile, die sogenannten „Quoter“, diese Beiträge auf, kommentieren sie, und sorgen so dafür, dass die Falschinformationen eine größere Reichweite erhalten.
Ähnlich wie bei Doppelgänger-Kampagnen nutzt die Kampagne bewusst das Vertrauen in etablierte Medienmarken aus, indem sie Logos, Layouts und Sprachmuster imitiert. So entstehen Inhalte, die auf den ersten Blick seriös wirken und somit auch skeptische NutzerInnen täuschen können. Die Wurzeln vieler dieser Desinformationen liegen in russischsprachigen Telegram-Kanälen. Dort erscheinen die Inhalte oft zuerst, bevor sie auf andere Plattformen gelangen.
NewsGuard hat dokumentiert, dass zwischen April und Juli 2025 mindestens 39 gefälschte Geschichten über Moldau verbreitet wurden. Zum Vergleich: Im Jahr zuvor gab es keine einzige dieser Art.
Die Palette der derzeit über Moldau kursierenden Falschmeldungen ist breit und reicht von skurrilen Anschuldigungen bis zu erfundenen Skandalen. Präsidentin Maia Sandu wird darin wahlweise der Veruntreuung von Millionenbeträgen bezichtigt, des Drogenmissbrauchs, bezogen auf angeblich „psychotrope Substanzen“, oder sie wird in Affären- und Korruptionsgeschichten verwickelt. Verbreitet werden diese Narrative genauso wie oben dargestellt.
Solche manipulierten Inhalte erzielten allein auf Telegram innerhalb von nur drei Monaten fast zwei Millionen Aufrufe. Besonders aufsehenerregend war ein Clip im BBC-Design. Dieser gab vor, eine Bellingcat-Recherche habe ergeben, dass Sandu gemeinsam mit einer engen Vertrauten rund 24 Millionen Dollar aus Staatsgeldern abgezweigt habe. Einen entsprechenden Bericht gibt es jedoch weder von Bellingcat noch von der BBC; die Geschichte ist frei erfunden, erreichte in kürzester Zeit aber dennoch ein großes Publikum.
Die erfolgreichsten Narrative kamen zusammen auf rund 1,5 Millionen Aufrufe. Sie wurden zusätzlich von pro-kremlnahen Webseiten sowie einem Netzwerk von Social-Media-Accounts, die sich als gewöhnliche NutzerInnen tarnten, verstärkt. Auf TikTok identifizierten ExpertInnen im Juni mindestens 50 solche Profile. Diese verbreiteten unter anderem die Lüge, bei den moldauischen Präsidentschaftswahlen 2024 seien massenhaft Stimmen von bereits Verstorbenen abgegeben worden. Dass diese Erzählungen sogar in KI-Systemen wie ChatGPT wiedergegeben wurden, zeigt, wie stark die Matryoshka-Kampagne bereits in digitale Informationsräume eingesickert ist.
Eskalation vor dem EU-Moldau-Gipfel
In den Wochen vor dem EU-Moldau-Gipfel am 4. Juli 2025 intensivierte sich die Desinformationskampagne spürbar. Dabei nahmen die russischen Netzwerke vor allem Präsidentin Maia Sandu ins Visier und setzten auf gezielte Angriffe, die ihre Glaubwürdigkeit schwächen sollten. So tauchten beispielsweise Videos im Stil westlicher Medien auf, die den Eindruck erweckten, die estnische Premierministerin Kaja Kallas habe ihre Teilnahme kurzfristig abgesagt, angeblich, weil es zu einem Zerwürfnis mit Sandu gekommen sei.
Parallel dazu kursierten Behauptungen, Sandu plane, Kallas bei der Besetzung des Postens des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik auszubooten. Dennoch verbreitete das Matryoshka-Netzwerk diese Narrative seit Ende Mai in abgestimmten Wellen, die kurz vor dem 19. Juni, genau in der heißen Phase der Gipfelvorbereitung, erreichten sie ihren Höhepunkt.
Diese Manipulationen wurden durch zusätzliche Vorwürfe ergänzt: Die moldauische Regierung soll angeblich öffentliche Gelder für den Gipfel verschwenden oder WählerInnenregister manipulieren, indem sie die Fristen für die Registrierung von Todesfällen verlängert.
Die EU reagiert: Neue Strukturen gegen Desinformation
Die Europäische Union hat die Gefahr erkannt. Angesichts der Wahlen intensiviert sie ihre Bemühungen, russische Desinformationen einzudämmen. In Moldau wird ein neuer Knotenpunkt für Faktenprüfung und Aufklärung, kurz FACT genannt, aufgebaut. Das Ziel besteht darin, Falschinformationen schneller zu identifizieren und ihre Verbreitung systematisch zu verfolgen. Das Projekt wird unter dem Dach des European Digital Media Observatory (EDMO) koordiniert und von Context Romania, einem unabhängigen Medien-Start-up, geleitet.
Bereits im Juni veranstalteten die EU und die moldauischen Behörden ein sogenanntes Stresstest-Manöver. In dieser Übung wurden hybride Angriffe nachgestellt, um die Reaktionsgeschwindigkeit und -wirksamkeit großer Plattformen wie Meta, Google, TikTok oder Microsoft zu prüfen. Obwohl der Digital Services Act in Moldau offiziell keine Anwendung findet, nahmen die Konzerne auf freiwilliger Basis teil. Gemeinsam mit FaktenprüferInnen, zivilgesellschaftlichen Initiativen und VertreterInnen der Regierung wurden Abläufe durchgespielt, um im Ernstfall gut vorbereitet zu sein.
Das neu geschaffene FACT-Zentrum setzt dabei auf eine Kombination verschiedener Instrumente: lokale Partnerschaften, die systematische Erfassung relevanter AkteurInnen, den Einsatz KI-gestützter Monitoring-Tools sowie Frühwarnmechanismen. Das Ziel besteht darin, russische Propaganda und antiukrainische Narrative so früh wie möglich zu identifizieren und zu stoppen, bevor sie sich in der Gesellschaft festsetzen können.
Informationskrieg als Teil einer geopolitischen Strategie
Die kommenden Parlamentswahlen sind somit nicht nur ein innenpolitischer Richtungsentscheid, sondern auch ein Prüfstein für die Resilienz Moldaus gegenüber hybriden Angriffen von außen. Es wird entscheidend sein, ob es gelingt, den Einfluss russischer Desinformationskampagnen einzudämmen und das Vertrauen in den demokratischen Prozess zu bewahren.
Die frühzeitige Reaktion europäischer Partner, sei es durch Solidaritätsbekundungen auf höchster politischer Ebene, durch die Einrichtung von Fact-Checking-Strukturen oder durch Stresstests für digitale Plattformen, ist ein wichtiges Signal. Es zeigt, dass Moldau in diesem Kampf nicht allein dasteht. Schon jetzt ist jedoch klar: Der Ausgang der Wahl am 28. September wird weit über Moldau hinaus von Bedeutung sein.





Kommentare