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Desinformation kennt keinen Wahlzyklus: Georgien und Moldau im Fokus

Aktualisiert: vor 5 Tagen

Screenshot: artlist.io
Screenshot: artlist.io

In den vergangenen zwei Wochen gerieten zwei postsowjetische Republiken ins Zentrum politischer Unruhen: Georgien und Moldau. In beiden Ländern fanden Wahlen statt, die von Chaos, öffentlicher Frustration und dem unübersehbaren Einfluss Russlands begleitet waren. Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Zerfall der Sowjetunion sind diese weiterhin Spielfelder geopolitischer Interessen, auf denen Desinformation, Geld und Macht zu Waffen geworden sind.

Während Moldau bestrebt ist, sich politisch und wirtschaftlich fest an die Europäische Union zu binden, kämpft Georgien um den Erhalt demokratischer Strukturen. In beiden Fällen zeigt sich, dass Desinformation kein punktuelles Phänomen ist, sondern ein fortlaufender Prozess, der Gesellschaften gezielt zermürbt.


Moldau: Ein hart erkämpfter Sieg für Europa


In früheren Ausgaben dieses Newsletters wurde bereits aufgezeigt, wie AkteurInnen mit Nähe zum Kreml versuchten, die politischen Prozesse in Moldau zu manipulieren: durch gezielte Desinformationskampagnen, Einschüchterung und Stimmenkauf. Diese Einflussversuche intensivierten sich im Vorfeld des EU-Moldau-Gipfels, unter anderem durch Projekte wie die sogenannte „Matryoshka“-Kampagne, die gesellschaftliche Spaltungen vertiefen und das Vertrauen in proeuropäische Institutionen untergraben sollte.

Neuere Recherchen zeigen, dass die Einflussstrategien Russlands längst über seine Grenzen hinausreichen. So mischt etwa die rumänische rechtsextreme Partei AUR, deren Kommunikation stark an Kreml-Narrative erinnert, zunehmend auch in der moldauischen Öffentlichkeit mit. Laut Le Monde überschneiden sich „AURs Informationskampagnen in auffälliger Weise mit russischen Desinformationsoperationen“, ein Hinweis auf abgestimmte Strategien zur Destabilisierung der Region.

Schließlich wählten die MoldauerInnen am 28. September ein neues Parlament. Der Wahltag war von Anspannung und Misstrauen geprägt. Präsidentin Maia Sandu hatte wochenlang vor massiver russischer Einmischung gewarnt und die Wahl als Schicksalsmoment bezeichnet. Ihr Appell an die BürgerInnen, nicht nur über Parteien, sondern über den künftigen Weg des Landes zu entscheiden, zeigte Wirkung. Die Partei der Aktion und Solidarität (PAS) errang rund 50 Prozent der Stimmen und erhielt damit ein klares Mandat für den europäischen Kurs des Landes. Der prorussische „Patriotic Electoral Bloc“ blieb mit knapp 24 Prozent weit zurück.

Oppositionsführer Igor Dodon, der bereits vor Schließung der Wahllokale seinen Sieg reklamiert hatte, rief später zu Protesten auf. Doch die Demonstrationen blieben überschaubar: Viele der Teilnehmenden waren ältere AnhängerInnen, die auf prorussische Medienberichte hereingefallen waren. In der Hauptstadt Chișinău zeigten sich viele BürgerInnen dagegen erleichtert: ein kurzer Moment demokratischer Selbstbehauptung in einem Land, das seit Jahren zwischen Russland und Europa zerrieben wird.

Doch der Wahltag verlief alles andere als ruhig. Das Außenministerium meldete mehrere Bombendrohungen gegen moldauische Wahllokale im Ausland, unter anderem in Rumänien, Italien, Spanien und den USA. Drei mutmaßliche Mitglieder der Sicherheitsdienste der de facto Region Transnistrien wurden festgenommen, da sie „gezielte Destabilisierungsaktionen“ geplant haben sollen. Diese Vorfälle machten deutlich, dass Moldaus Demokratie zwar funktioniert, aber permanent unter Beschuss steht.

Für Präsidentin Sandu ist das Ergebnis sowohl eine Bestätigung als auch eine Verpflichtung. Ihr Kurs in Richtung EU bleibt umkämpft, nicht zuletzt, weil die gesellschaftlichen Gräben tief sind. Ein Teil der Bevölkerung blickt weiterhin nach Russland: aus Gewohnheit, aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeit oder weil er Desinformationen konsumiert. In diesem Spannungsfeld muss die Regierung Wege finden, die Resilienz gegen hybride Einflussnahme zu stärken, und das nicht nur politisch, sondern auch gesellschaftlich.


Kommunalwahlen in Georgien: Empörung, Aufruhr und Ernüchterung


Das Fazit der Kommunalwahlen in Georgien fiel ernüchternd aus: Eine Welle der Empörung und des Aufruhrs sowie tiefe Enttäuschung über Regierung und Opposition rollte durch das Land. Die Ergebnisse wirkten fast ironisch: Die regierende Partei “Georgischer Traum” (GT) “gewann” in sämtlichen Gemeinden und unabhängigen Städten sowohl bei den Bürgermeisterwahlen, als auch bei den Ratswahlen. Die Wahl fand am 4. Oktober statt und wurde von dem Boykott zweier großer Oppositionsparteien überschattet: “Vereinte Nationale Bewegung” (United National Movement - UNM) und “Akhali”.

Innerhalb der Opposition war der Streit über den Boykott heftig. Eine Allianz aus der Partei „Für Georgien“ des ehemaligen Premierministers Giorgi Gakharia und der Bewegung „Starkes Georgien“ hatte sich jedoch frühzeitig entschieden, dennoch anzutreten. Die Wahlen erfolgten vor dem Hintergrund andauernder Proteste. Seit den Parlamentswahlen des Vorjahres hatten AktivistInnen sowie BürgerInnen über 300 Tage hinweg demonstriert – zunächst mit großer Intensität, später jedoch mit nachlassender Beteiligung. Die Vorwürfe lauteten auf Manipulation, Wahlbetrug und Einschüchterung.

Die Regierung der Partei “Georgischen Traum” reagierte mit zunehmender Härte. Zahlreiche OppositionsführerInnen und AktivistInnen, die an den Novemberprotesten beteiligt gewesen waren, wurden verhaftet. Nach den Kommunalwahlen kam es erneut zu vereinzelten, jedoch schlecht koordinierten, Protesten, vor allem auf der Rustaweli-Allee in Tiflis und vor dem Präsidentenpalast in der Atoneli-Straße. Angeführt wurden sie von einem unerwarteten Gesicht: dem bekannten Opernsänger Paata Burchuladze, der die Bewegung übernahm, nachdem der eigentliche Organisator, Oppositionspolitiker Levan Khabeishvili, festgenommen worden war.

Zuvor hatte Khabeishvili zu einer „Revolution der Fahnen“ aufgerufen, doch die Ankündigung blieb vage und die Mobilisierung gering. Das ohnehin geschwächte Oppositionslager war tief gespalten – sowohl über die Frage des Boykotts als auch über Strategien gegenüber dem zunehmend autoritären Kurs der Regierung. Die Folge waren eine geringe Wahlbeteiligung, unorganisierte Proteste und eine wachsende politische Müdigkeit.

Die Regierung reagierte auf die Proteste mit massivem Polizeieinsatz. Nachdem angebliche Versuche gemeldet worden waren, den Präsidentenpalast zu stürmen, setzten Sicherheitskräfte Tränengas ein und nahmen über zehn Personen fest, darunter Burchuladze, Zodelava und weitere AnführerInnen. Premierminister Irakli Kobakhidze verurteilte die Demonstrationen scharf und kündigte eine „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber allen an, die „die Regierung stürzen“ wollten.

Diese Rhetorik weckt bei vielen GeorgierInnen Erinnerungen an die Ära Micheil Saakaschwilis (2003–2012), als eine ähnliche „Null-Toleranz“-Politik massive Menschenrechtsverletzungen und Folter in georgischen Gefängnissen zur Folge hatte. Heute wird der Begriff erneut genutzt, diesmal als Werkzeug der Einschüchterung.

Die Opposition in Georgien steht vor einem Scherbenhaufen. Viele ihrer führenden Köpfe befinden sich in Haft oder sind Ziel von Ermittlungen, kleinere Parteien scheitern regelmäßig an der Zehn-Prozent-Hürde. In Tiflis “gewann” der amtierende Bürgermeister und ehemalige Fußballstar Kakha Kaladze bereits zum dritten Mal in Folge. Dies ist ein Symbol dafür, wie fest die Machtverhältnisse im Land inzwischen zementiert sind.


Mehr als nur Wahlkampf: Die lange Reichweite hybrider Einflussnahme


Wahlen sind die sichtbarsten Momente hybrider Einflussoperationen, doch diese enden nicht mit dem Wahltag. Russlands Einfluss in Moldau und Georgien zeigt, dass Desinformation, verdeckte Finanzierungen und politischer Druck Teil einer langfristigen Strategie sind, um Demokratien zu destabilisieren. Dabei geht es nicht nur um WählerInnenstimmen, sondern um etwas Tieferes: das Vertrauen in Institutionen, Medien und die Idee der Demokratie selbst.

Wie viel Geld Moskau in diese Operationen investiert und wie viele politische AkteurInnen dadurch korrumpiert werden, lässt sich kaum beziffern. Doch die Wirkung ist spürbar – in den Wahlkämpfen, in den Schlagzeilen und in den alltäglichen Gesprächen über „Brüssel” oder „Moskau”. Desinformation ist keine einzelne Handlung, sondern eine Atmosphäre.

Diese Realität darf nicht übersehen werden. Es braucht präventive Strategien, um dem entgegenzuwirken: von Medienkompetenz und transparenter Wahlbeobachtung bis hin zur gezielten Förderung unabhängiger Redaktionen. Die Schlacht in Moldau mag gewonnen sein, doch der Krieg um die demokratische Souveränität ist längst nicht entschieden.

In Georgien wiederum hat Oligarch Bidzina Iwanischwili den europäischen Kurs des Landes zunehmend blockiert. Genau deshalb sollte die Europäische Union nicht auf Distanz gehen, sondern gezielt in die Zivilgesellschaft investieren, die immer stärker unter Druck gerät. Demokratien zerfallen selten plötzlich, sondern erodieren schleichend, wenn Reformkräfte isoliert bleiben.


Wenn russische Einflussnahme die Widerstandsfähigkeit der Demokratien sogar mitten in Europa auf die Probe stellt, durch Desinformation, Drohnenangriffe und den Aufstieg kreml-naher rechter Parteien, dann stehen Länder wie Georgien und Moldau an vorderster Front in dieser Auseinandersetzung.

Ihre Kämpfe sind keine Randnotizen entfernter Regionen, sondern Anzeichen eines größeren Musters: des Versuchs, Staaten von ihrem gewählten geopolitischen Kurs abzubringen. Ob Europa diese Warnsignale als nebensächlich oder als entscheidend begreift, wird nicht nur über die Stabilität der Region entscheiden, sondern auch über die Glaubwürdigkeit der europäischen Demokratie selbst.

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