Politische Werbung im digitalen Raum: Regulierung, Rückzug und transatlantischer Grundsatzstreit
- Tim Stark
- 12. Aug.
- 5 Min. Lesezeit
Meta zieht den Stecker - ab Oktober 2025 wird es auf Facebook und Instagram in der EU keine politische Werbung mehr geben. Offiziell ist der Schritt eine direkte Reaktion auf die neue EU-Verordnung TTPA, die strenge Transparenz- und Targeting-Regeln einführt. Um zu verstehen, was das bedeutet braucht es drei Blickwinkel: A) was genau die TTPA vorschreibt. B) warum Meta sich entschieden hat als Reaktion, den politischen Anzeigenmarkt in Europa komplett zu verlassen, und C) wie das zum Verhältnis zwischen EU Kommission und US-Plattformen passt. Aber zunächst einmal kurz zur Frage was politische Werbung eigentlich ist und welche Rolle sie spielt.

Von Kennedy zu KI: eine Kurze Geschichte der politischen Werbung
Es ist eine der bekanntesten und dennoch spannendsten Fixpunkte in der Geschichte des amerikanischen Präsidentenwahlkampfs: 1960 trat der junge, telegene John F. Kennedy gegen den schwitzenden und unrasiert wirkenden Richard M. Nixon an. Bekanntlich siegte der Demokrat, auch, weil er es weit besser verstand, das neue Medium Fernsehen perfekt für sich zu nutzen (vgl. Watzl, 2021).
Fast dreißig Jahre später war es mit Barack Obama erneut ein demokratischer Präsidentschaftskandidat, der Social Media und Online-Werbung in bislang unerreichtem Umfang für seine Kampagne nutzte. 2008 ging er damit als „erster Internet-Präsident“in die Geschichte ein - eine Revolution der politischen Kommunikation, die soziale Medien und digitale Plattformen zu mächtigen Werkzeugen der Mobilisierung machte.
Die Potenziale, die einst als demokratische Innovation gefeiert wurden, sind heute jedoch in den Hintergrund getreten. Von der anfänglichen Aufbruchsstimmung ist wenig geblieben, stattdessen rücken problematische Aspekte in den Vordergrund: Politische Anzeigen sind oft kaum als solche erkennbar, ihre Finanzierung bleibt im Dunkeln, und die Zielgruppenansprache erfolgt unsichtbar im Hintergrund. Selbst dort, wo es Kennzeichnungen gibt, sind diese häufig unvollständig. Wie N. Kirk & L. Teeling (2021) betonen, wäre echte Transparenz dann gewährleistet, wenn Anzeigen eindeutig gekennzeichnet, SponsorInnen genannt, Targeting-Details offengelegt und Ausgaben vollständig dokumentiert würden. Diese Anforderungen sind bislang jedoch selten erfüllt.
A) Die TTPA - ein europäischer Regulierungsrahmen
Nun geht die EU den nächsten Schritt und macht aus freiwilligen Vereinbarungen verbindliches Recht. Im Rahmen des Digital Services Act (DSA) tritt am 10. Oktober 2025 die Verordnung (EU) 2024/900 über Transparenz und Targeting politischer Werbung (TTPA) in Kraft. Das Ziel besteht, laut Regelung, darin, BürgerInnen in die Lage zu versetzen, politische Werbung klar zu erkennen, deren UrheberInnen zu verstehen und zu wissen, ob und warum sie gezielt angesprochen wurden.
Mit der Verordnung (EU) 2024/900 zur Transparenz und zum Targeting politischer Werbung (TTPA) führt die EU erstmals ein einheitliches, umfassendes Regelwerk ein. Es gilt ab 10. Oktober 2025 für alle Akteure, die gegen Entgelt oder im Rahmen einer Kampagne Botschaften verbreiten, die Wahlen, Referenden oder Gesetzgebungsprozesse auf EU-, nationaler, regionaler oder lokaler Ebene beeinflussen können.
Erfasst werden nicht nur Parteien, Bündnisse, Kandidierende, Kampagnenorganisationen und Regierungsmitglieder, sondern auch NGOs, Stiftungen, Interessenverbände, Agenturen, Beratungsfirmen und Plattformen (Art. 3 Abs. 4).
Die TTPA definiert drei wesentliche Akteursgruppen:
Anbieter politischer Werbedienstleistungen (z. B. Agenturen, Einzelpersonen) nach Art. 3 Abs. 6
Sponsoren (Auftraggeber) nach Art. 3 Abs. 10
Herausgeber (Plattformen, Werbenetzwerke) nach Art. 3 Abs. 8 f.
Kernvorgaben TTPA (nicht vollumfänglich):
Kennzeichnungspflicht: Jede Anzeige muss klar als politische Werbung erkennbar sein, den Sponsor mit vollständigen Kontaktdaten nennen und den relevanten Wahl- oder Gesetzgebungsprozess angeben.
Transparenzpflicht: Offenlegung von Herkunft und Höhe der Mittel, eingesetzten Targeting-Methoden, Reichweite, Interaktionen und ggf. Einsatz von KI. Alle Angaben müssen aktuell gehalten, sieben Jahre archiviert und von Anbietern wie Herausgebern geprüft werden.
EU-weites Transparenzarchiv: Alle Online-Anzeigen sind öffentlich abrufbar.
Targeting-Regeln: Personalisierung nur mit direkt erhobenen Daten und ausdrücklicher Einwilligung. Keine Nutzung sensibler Daten (z. B. politische Überzeugungen, Religion), keine Ansprache Minderjähriger.
Drittstaaten-Verbot: Drei Monate vor Wahlen oder Referenden keine politische Werbung aus Nicht-EU-Staaten.
Allerdings bestehen weiterhin Unklarheiten und Auslegungsfragen – teils grundsätzlicher Natur. Nach Art. 3 Abs. 2 ii nimmt die TTPA Ministerien und Behörden ausdrücklich aus – jedoch nur, sofern ihre Kommunikation nicht darauf gerichtet ist, Wahlergebnisse oder Referenden zu beeinflussen oder gezielt öffentliche Unterstützung für einen Gesetzgebungs- oder Regulierungsprozess zu mobilisieren.
B) Reaktionen der Plattformen - Meta und Google sagen Nein
Noch bevor die Verordnung in Kraft tritt, reagieren große Plattformen mit einschneidenden Entscheidungen. Meta kündigte im Juli 2025 an, ab Oktober keine politische Werbung mehr in der EU zuzulassen, weder auf Facebook noch auf Instagram, Google folgte mit einer ähnlicher Ankündigung, so verkündete Annette Kroeber-Riel, Vice President of Government Affairs & Public Policy for Europe, Google: „Google will stop serving political advertising in the EU before the TTPA enters into force in October 2025. Additionally, paid political promotions, where they qualify as political ads under the TTPA, will no longer be permitted on YouTube in the EU.“ Als Grund nannte Kroeber-Riel, die „erheblichen neuen operativen Herausforderungen und rechtlichen Unsicherheiten für politische Werbetreibende.“ Meta begründet diesen Schritt mit dem erheblichen Umsetzungsaufwand, der Opt-in-Pflicht für personalisiertes Targeting, dem hohen Haftungsrisiko und den neuen Offenlegungspflichten, die Wettbewerbern tiefe Einblicke in Preisstrukturen erlauben würden. Gerade die Pflicht, jede Anzeige mit umfangreichen Echtzeitinformationen zu versehen, sei bei dynamischen Formaten wie programmatischer Werbung kaum skalierbar. Die Opt-in-Vorgabe würde den Markt für gezielte politische Werbung zudem faktisch austrocknen, weil nur ein kleiner Teil der NutzerInnen eine solche Einwilligung erteilen würde. KritikerInnen halten dem entgegen, dass Plattformen wie Meta durchaus in TTPA-Konforme technische Lösungen hätten investieren können - etwa in zentrale Einwilligungsmechanismen, standardisierte Kennzeichnungssysteme oder gemeinsam betriebene Transparenzarchive. Der vollständige Rückzug wird daher vielfach als strategische Entscheidung interpretiert, die wirtschaftliche Interessen über die Verantwortung für eine transparente digitale Öffentlichkeit stellt. Leidtragende sind vor allem kleinere Parteien, NGOs und Grassroots-Initiativen, die auf die Reichweite digitaler Plattformen angewiesen sind, während inoffizielle Desinformationskampagnen über diverse andere Kanäle ungehindert weiterlaufen können.
C) Meta, die EU-Kommission und der Streit um „Free Speech“
Hinter dem Rückzug steckt jedoch mehr als nur eine Frage der technischen Machbarkeit oder der wirtschaftlichen Kalkulation. Der Streit um die TTPA ist Teil eines tieferliegenden transatlantischen Grundsatzkonflikts über den Stellenwert von Regulierung und Meinungsfreiheit in der digitalen Öffentlichkeit. Die EU sieht große Plattformen als zentrale Gatekeeper, deren Macht und Einfluss durch verbindliche Gesetze wie den Digital Services Act und die TTPA eingehegt werden müssen. Meinungsfreiheit wird in Europa regelmäßig mit anderen Schutzgütern wie Datenschutz, Persönlichkeitsschutz oder dem Schutz vor Hassrede abgewogen. Plattformen wie Meta hingegen berufen sich auf ein US-amerikanisch geprägtes „Free Speech“-Ideal.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2025 griff der US-Vizepräsident J. D. Vance diesen Gegensatz auf. In seiner Rede warnte er vor einer „europäischen Überregulierung“, die den politischen Diskurs im Netz ausdünne und damit letztlich auch demokratische Teilhabe schwäche. Die Debatte um Meta und die TTPA ist damit nicht nur ein juristisches oder wirtschaftliches Problem, sondern ein politisch-philosophischer Grundsatzstreit über die digitale Öffentlichkeit.
Ausblick - Regulierung und Freiheit im Gleichgewicht?
Der 10. Oktober 2025 wird damit nicht nur zu einem Stichtag für die Regulierung politischer Werbung, sondern auch zu einem Prüfstein für das zukünftige Verhältnis von Demokratie und digitaler Öffentlichkeit. Zwar könnte die TTPA ein wirksames Instrument gegen intransparente Einflussnahme werden, doch weist sie noch erhebliche Unklarheiten und Regelungslücken auf, die dringend geklärt werden müssen.
Die Reaktionen der Plattformen zeigen indes, dass sie dem eigentlichen Sinn und Zweck der Norm nur widerwillig und in minimaler Auslegung nachkommen. Aus unserer Sicht nutzen sie vielmehr ihre enorme Marktmacht, um das Narrativ einer angeblich übergriffigen „EU-Überregulierung“ gezielt zu befeuern – nicht als Ausdruck legitimer Kritik, sondern als strategisches Mittel, um eigene Geschäftsinteressen zu sichern und politische Kontrolle abzuwehren.
Ob die TTPA letztlich zu mehr Transparenz führt oder zum Lehrstück darüber wird, wie gut gemeinte Regulierung unbeabsichtigte Nebenwirkungen erzeugt, bleibt offen. Sicher ist nur: Sie wird die Machtbalance zwischen Politik und Technologie neu austarieren. Die grundlegende Frage, wie viel Regulierung eine freie Öffentlichkeit verträgt – und wie viel Freiheit sich eine Demokratie leisten kann, ohne ihre Integrität zu gefährden – dürfte die Auseinandersetzung zwischen Brüssel, dem Silicon Valley und Washington noch lange prägen.





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