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It's the data, stupid - Ein neuer Ansatz im Kampf gegen Desinformation und warum der EU eine Vorreiterrolle zukommen könnte

Aktualisiert: 14. Nov.

Bildquelle: Artlist.io
Bildquelle: Artlist.io


Die Bekämpfung von Desinformation gehört zu den großen Verteidigungsaufgaben moderner Demokratien. Gleichzeitig ist sie ein Minenfeld. Denn wer versucht, gezielte Falschinformationen zu regulieren, sieht sich schnell zwischen den Polen von Zensurverdacht, Machtfragen gegenüber Plattformen und globalem Wettbewerbsrecht wieder. Die US-amerikanische Juristin Tiffany C. Li geht in ihrer Analyse "Privacy and Disinformation" einen innovativen Ansatz: Sie verlagert die Perspektive – weg von der Diskussion um Inhalte, hin zur Regulation von Daten.


Ihr zentraler Gedanke: Nicht der Inhalt von Desinformation ist das primäre Problem, sondern ihre datengetriebene Personalisierung, Micro-Targeting. Das macht Datenschutzrecht zur vielleicht wirksamsten und demokratisch verträglichsten Antwort auf digitale Manipulation. Ein Gedanke, der gerade in Europa auf fruchtbaren Boden fallen könnte – schließlich rühmt sich die EU mit der DSGVO eines der weltweit strengsten Datenschutzgesetze geschaffen zu haben. Doch die Realität zeigt: Wollen allein reicht nicht. Können ist das Problem. Vor Allem wenn man mit der DSGVO Desinformation bekämpfen möchte.

Desinformation als ein datengetriebenes Problem? Und Warum klassische Gegenstrategien scheitern


Lis Argument beruht maßgeblich auf der Annahme, dass durch das Zusammenspiel von Internet, künstlicher Intelligenz und großflächiger Datensammlung eine neue Qualität von Desinformation entsteht. Während frühere Formen der Propaganda und Einflussnahme meist auf Massenwirkung zielten, operieren heutige Desinformationskampagnen zunehmend zielgenau, psychologisch zugeschnitten und algorithmisch verstärkt auf spezifische Zielgruppen. Als drei Treiber dieser Entwicklung gelten: generative KI, Empfehlungsalgorithmen und massive Datenprofile. Das eigentliche Einfallstor für Manipulation ist laut Li nicht der Inhalt selbst, sondern das datenbasierte System, das ihn personalisiert und verstärkt.


Li analysiert, warum Sprachregulierung und wirtschaftliche Eingriffe kaum greifen. In den USA verhindert das First Amendment jede effektive Inhaltsregulierung. Auch in Europa ist Meinungsfreiheit politisch wie rechtlich ein sensibler Bereich. Plattformdruck durch "jawboning" birgt demokratietheoretische Risiken. Wirtschaftliche Eingriffe wie Plattformverbote wiederum sind politisch heikel, rechtlich umstritten und gesellschaftlich unpopulär. Beide Strategien verfehlen das strukturelle Problem der datenbasierten Personalisierung laut Li´s Analyse.


Li setzt stattdessen auf Datenschutzrecht als systemischen Hebel. Durch Einschränkungen bei Datensammlung, Transparenzpflichten, Widerspruchsrechte gegen automatisierte Entscheidungen und Regeln für KI-Training wird das Fundament personalisierter Manipulation geschwächt. Datenschutzrecht greift früher, ist weniger kontrovers und bietet rechtliche Stabilität. Es bekämpft nicht Symptome, sondern Ursachen.


Zwar scheint Europa mit der DSGVO gut gerüstet. Doch es hapert an der Umsetzung. Erstens fehlt es an Durchsetzungskraft gegen große Plattformen. Zweitens bleibt die Verzahnung mit DSA und KI-Regulierung unzureichend. Drittens ist die DSGVO konzeptionell nicht auf die Dynamik generativer KI vorbereitet. Europa hat den normativen Rahmen, aber es gelingt kaum, ihn als strategisches Verteidigungsinstrument zu nutzen.


Microtargeting: Verstärker, nicht Hauptwaffe

Microtargeting wird oft als mächtiges Manipulationsinstrument dargestellt. Doch die Evidenz zeigt: Es wirkt, aber nicht überwältigend. Der Cambridge-Analytica-Skandal und russische Desinformationskampagnen zeigen das Potenzial gezielter Ansprache. Studien belegen: Zielgerichtete Werbung kann effektiver sein, aber der Zugewinn durch immer feinere Zielgruppensegmentierung ist begrenzt. Die eigentliche Gefahr liegt im Zusammenspiel mit Empfehlungsalgorithmen, nicht im Microtargeting allein.


Nicht alles ist Technik – und nicht alles ist Desinformation

Lis Ansatz ist technologisch fundiert, doch Desinformation ist kein rein technisches Problem. Sie wurzelt auch in gesellschaftlichen Spaltungen, Vertrauensverlust, politischen Polarisierungen. Datenschutzrecht kann technische Hebel setzen, ersetzt aber zum Beispiel nicht politische Bildung, Medienkompetenz oder gesellschaftlichen Dialog. Regulierungsansätze sollten vermeiden, technologischen Faktoren eine monokausale Erklärungsmacht zuzuschreiben. Die DSGVO zeigt ihre Stärke auch außerhalb des Digitalen. Datenschutz ist etwa auch ein Menschenrechtsinstrument, das Machtverhältnisse sichtbar macht. Seine Polyvalenz macht es besonders wertvoll: Es wirkt nicht nur gegen Datenmissbrauch, sondern auch gegen strukturelle Ungleichheit.


Ein Baustein der Resilienz, nicht die Lösung für alles

Lis Ansatz kann Desinformation nicht allein lösen – das will er auch nicht. Er ist aber ein konkreter, robuster Baustein innerhalb eines übergreifenden Schutzsystems. Zusammen mit DSA, politischer Bildung, Plattformregulierung und Zivilgesellschaft kann Datenschutz strukturell zur demokratischen Resilienz beitragen.


Die DSGVO ist kein Desinformationsgesetz – aber sie kann als Desinformationswerkzeug genutzt werden. Indem sie den Zugang zu personalisierten Datenströmen einschränkt, wird sie zur Schutzmauer gegen digitale Einflussnahme. Wer ihre Möglichkeiten versteht, kann bestehende Instrumente gezielt einsetzen, ohne neue zu erfinden.


Li erinnert uns daran: In digitalen Informationsräumen sind es nicht die Worte, sondern die Daten, die manipulieren. Datenschutzrecht greift eventuell dort, wo andere Instrumente versagen. Europa hat einen potentiellen Bauplan für eine entsprechende Schutzarchitektur – doch jetzt muss es diese auch nutzen. Lis Impulse für neue Denkansätze sind insofern relevant, weil gesamtgesellschaftliche Resilienz gegenüber hybriden Bedrohungen neue Formen der Analyse und des Umgangs erfordert.

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