Digitale Fronten des Kremls: Russlands Informationskrieg zu Wehrpflicht und Mobilmachung
- Markus Watzl
- 15. Juli
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Nov.

Nicht einmal der größte Superheld aller Zeiten ist gewappnet gegen die zunehmende Bedrohung durch Fake News. Achtung Spoiler: Im neuesten Superman-Film von James Gunn sieht sich der “Man of Steel” mit einer gezielten Desinformationskampagne gegen sich konfrontiert.
Im Kontext moderner Konflikte hat sich die gezielte Verbreitung von Desinformationen – also absichtlich falschen oder irreführenden Informationen – als strategische Waffe etabliert. Diese Manipulation von Wahrnehmungen und Informationen zielt darauf ab, Gegner zu schwächen, öffentliche Meinungen zu beeinflussen und Entscheidungsprozesse zu destabilisieren, oft noch bevor militärische Gewalt zum Einsatz kommt. Die zunehmende Bedeutung solcher narrativen Mittel stellt Staaten und internationale Organisationen vor komplexe sicherheitspolitische, gesellschaftliche und ethische Herausforderungen. Eine fundierte Analyse der Funktionen, Ziele und Auswirkungen von Desinformationskampagnen ist daher essentiell, um hybride Kriegsführung besser zu verstehen und wirksame Gegenstrategien zu entwickeln.
Die Schlacht um die Wahrheit hat längst begonnen
Im historischen Kontext nimmt Deutschland fast schon eine Vorreiterrolle hinsichtlich staatlich-gesteuerter Desinformationskampagnen ein. General Erich Ludendorff sah bspw. in der Gründung der Universum Film AG (UFA) 1917 primär ein Propagandainstrument, welches er in der finalen Phase des Ersten Weltkriegs nutzen wollte, um nationale Interessen zu unterstützen. In einem Brief an das königliche Kriegsministerium hatte Ludendorff gefordert:
„Für einen glücklichen Abschluss des Krieges ist es unbedingt erforderlich, dass der Film überall da, wo die deutsche Einwirkung noch möglich ist, mit dem höchsten Nachdruck wirkt.“
Der damalige Generalquartiermeister der OHL (Oberste Heeresleitung), der sowohl am Kapp-Lüttwitz-, als auch am Hitler-Putsch in den 1920er Jahren beteiligt war, sah besonders im audiovisuellen Medium ein entscheidendes Mittel zur psychologischen Kriegsführung.
Bekanntlich erlebt diese Maxime einen neuen Höhepunkt unter Joseph Goebbels während der Nazi-Diktatur.
Deutschland ist heutzutage eher Empfänger als Urheber derartiger Desinformationskampagnen. Spätestens seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine häufen sich die Anzeichen dafür, dass Deutschland zunehmend in den Fokus russischer Akteure im Rahmen hybrider Bedrohungsszenarien gerät.
Prof. Nicole Deitelhoff, Leiterin des Leibnitz-Instituts für Friedens- und Konfliktforschung/ Peace Research Institute Frankfurt (PRIF) erklärt diesbezüglich: “Moskau setzt immer häufiger auch Desinformation ein, um das Vertrauen der Menschen in Regierungen zu untergraben. Der ganze Sinn dieser hybriden Angriffe ist es, Gesellschaften zu verunsichern und die Grenze zwischen Frieden und Krieg zu verwischen” (DER SPIEGEL 29 11.7.2025).
In der Nacht zum 22. Juni 2025 brannten bspw. fünf Lastwagen eines Truppenbataillons der Bundeswehr auf dem Werksgelände der Firma MAN vollständig aus, ein sechster wurde leicht beschädigt. Die Fahrzeuge aus den Standorten Erfurt und Bad Frankenhausen waren zu Reparaturzwecken an MAN übergeben worden. Am 26. Juni wurden auf einem russischen Telegram-Kanal Videos und Fotos der brennenden Fahrzeuge veröffentlicht, zusammen mit einem russischen Text, in welchem kolportiert wurde, die Lkws wären für die Ukraine bestimmt gewesen und „unsere Leute entschieden hätten, diese einfach niederzubrennen.“
Eine Sprecherin des Bundesministeriums für Verteidigung (BMVg) dementierte in der FAZ: „Diese Fahrzeuge haben absolut keinen Bezug zu aktuellen oder geplanten Ukraine-Abgaben“.
Mobilmachung auf Wish bestellt
Deutlich aufwändiger als eine derartige Videobotschaft gestaltete sich eine Kampagne, in der eine angebliche Webseite der Bundeswehr zu einer anstehenden Wehrpflicht erstellt wurde. Diese erschien im Spätherbst 2024 unter dem Titel „Wehrpflicht 2025“ und teilte mit: „Das deutsche Verteidigungsministerium rekrutiert Bürger für einen Militäreinsatz im Jahr 2025. Bis Mai 2025 sollen 500.000 Soldaten rekrutiert werden.“ Die Website war unter der URL „Wehrdienst2025“ erreichbar und die Information auf Social Media-Portalen wie X, Telegram oder TikTok geteilt. Auf dem Telegram-Kanal „Neues aus Russland“ von Alina Lipp erreichte der Post, den sie mit „Deutschland bereitet sich also offiziell auf einen Krieg vor“ unterschrieb, mehr als 60.000 Views. Überraschen kann das nicht, denn gerade Lipp war in der Vergangenheit mehrfach durch die Verbreitung russischer Desinformationen aufgefallen.
Laut den Informationen auf der „Wehrpflicht2025“-Seite sollte diese Erhöhung der Truppenstärke dazu dienen, den „Friedens in Osteuropa zu wahren und wiederherzustellen“, woraus verschiedene NutzerInnen dezidiert eine militärische Mission in diesem Teil des Kontinents ableiteten. Besagtes Ziel sei nur im Rahmen einer „Allgemeinen Wehrpflicht“ möglich und das entsprechende Programm laufe bereits 2025 an. Natürlich wird auch Verteidigungsminister Boris Pistorius mit den Worten zitiert: „Wir müssen bis Mai 2025 bereit sein.“
Wie auch im Fall des gefälschten Videos teilte das BMVg auf Anfrage von correctiv mit: „Die Webseite ist fake“. Es handelte sich bei dieser ebenfalls um eine bewusste Desinformation. Sicherlich, sie benötigte mehr Engagement als das oben erwähnte Fake-Video, aber der sprichwörtliche Teufel steckte hier im Detail. Die Webseite wurde am 19. November 2024 mit der Open-Source-Software Wordpress erstellt und die IP der Seite am selben Tag registriert. Eine genaue Betrachtung zeigte außerdem, dass die Logos eine deutlich geringere Qualität aufweisen. Das Layout ist erkennbar an der Karriereseite der Bundeswehr orientiert, erreicht jedoch nicht deren professionelle Gestaltung. Auffällig ist hierbei das Fehlen von Drop-Down-Menüs sowie die Verwendung einer abweichenden Schriftart, was den insgesamt wenig seriösen Eindruck der Seite zusätzlich verstärkt. Alle auf der Webseite zur „Wehrpflicht2025“ eingebundenen Links verweisen zudem auf die offizielle Karriereseite der Bundeswehr. Auffällig ist jedoch, dass der Link zu den Datenschutzeinstellungen fehlerhaft implementiert wurde und dieser stattdessen zum Assessment Center der Bundeswehr führt. Der Bundeshaushalt mag vielleicht angespannt sein, jedoch ist nicht anzunehmen, dass die Frontend-Entwickler der Bundeswehr mit kostenloser Software arbeiten und dabei auch noch das strikt geregelte Corporate Design ignorieren.
Einige dieser Desinfromationskampagnen haben durchaus Potenzial, um zukünftig auch als Memes zu fungieren. So wurde in dem angeblichen Nachrichtenportal „Toronto Journal“ berichtet, Bundeskanzler Friedrich Merz hätte während einer privaten Jagdtour mehrere Robben, sowie eine Eisbärenmutter und deren beiden Jungtiere erschossen und anschließend mit den Kadavern posiert. Augenzeugen hätten dies als "sinnloses Massaker" bezeichnet, sagt der Nachrichtensprecher. Auch ein vermeintlicher Anwohner des, immerhin realen, Inuit-Dorfes Coral Harbour, kommt in dem Beitrag zu Wort, der den Vorfall bestätigt und sagt: "Er kam hierher und brach unsere Gesetze. Was er getan hat, ist nicht nur illegal - es ist ein Verstoß gegen alles, woran wir glauben." Das Umweltministerium des kanadischen Ortes erwäge, eine Untersuchung gegen Merz einzuleiten, heißt es abschließend in dem Bericht. Interessant jedoch ist, dass etwa der befragte Inuit einen deutlich russischen Akzent besitzt. Einmal mehr störte diese Tatsache Alina Lipp nicht, die den Bericht natürlich teilte.
Kurz vor Erscheinen der Meldung, im Zuge des Gipfeltreffens der NATO-Staaten in Den Haag, hatte Bundeskanzler Merz verkündet: “Der Übergang zwischen Frieden und Krieg ist fließend. Wir werden von Russland bereits in diesem Sinne angegriffen” und zählte das Ausspähen von Bundeswehrstandorten mit Drohnen, zerstörte Unterseekabel oder eben KI-generierte Falschnachrichten auf.
Das Bundesministerium des Inneren (BMI) teilte jedoch mit: „Die Vorwürfe im Video sind frei erfunden und entsprechen nicht der Wahrheit." Dies lässt sich bspw. durch eine Bilderrückwärtssuche einzelner Videoausschnitte belegen.
Tatsächlich handelt es sich bei der kompletten Nachrichtenseite „Toronto Journal“ um ein Werkzeug zur Verbreitung von Desinformationen. Die Website selbst liegt offenbar auf einem Server in Malaysia und wurde erst Mitte Juni eingerichtet. Außerdem ist kein Impressum hinterlegt und die vermeintlichen AutorInnen sind von real existierenden Nachrichtenseiten gestohlen, ebenso wie diverse Artikel.
Auf Anfrage der Tagesschau teilte Julia Smirnova, Senior Researcherin beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), mit: „Die Machart von Video und Nachrichtenseite weisen klare Anzeichen auf, Teil der Desinformationskampagne des russischen Desinformationsakteurs 'Storm-1516' zu sein". Über diesen haben auch wir bereits in der ersten Ausgabe dieses Newsletters berichtet. Der Akteur zeichnet sich durch aufwendige Desinformationsnarrative, für die Nachrichtenseiten, Dokumente und Videos gefälscht werden. Smirnova erklärte weiter: „Um die Narrative glaubwürdig erscheinen zu lassen, werden in den Videos häufig Augenzeugen erfunden, die mithilfe von KI-manipuliertem Bildmaterial dargestellt oder von Schauspielern inszeniert werden."
Ihre Einschätzungen werden von dem Rechercheportal Gnida geteilt, welches den besagten Artikel ebenfalls ‚Storm-1516‘ zuordnen. Dieser ist bereits mindestens seit dem Jahr 2023 aktiv und hat Recherchen zufolge Verbindungen zu russischen Geheimdiensten, der russischen Organisation Foundation to Battle Injustice (R-FBI) sowie dem US-Amerikaner John Mark Dougan.
Man kann an dieser Stelle also gesichert festhalten: Bundeskanzler Merz ist nicht der schlimmste Mensch seit den Jägern in Bambi.
Hybride Informationsoperationen und ihre erkenntnistheoretische Dimension im Ukraine-Krieg
Der aktuell offensichtlichste Adressat russischer Desinformationskampagnen ist natürlich die Ukraine und die Liste der Versuche, dort Fake News zu verbreiten, ist lang und vielfältig. In Qualität und Originalität unterscheiden sich die einzelnen Kampagnen. Die russische Propaganda hat bspw. die Verbreitung von Desinformationen über die angebliche Vorbereitung der Zwangsmobilisierung von Frauen in der Ukraine verstärkt. Die Propagandaquellen behaupten unter Berufung auf „anonyme Quellen“, dass die ukrainische Regierung ab dem 1. September 2025 „die Mobilisierung von bis zu einer Million Frauen“ plane. Sie betonen auch die angebliche „Herabsetzung der Altersgrenze der Einberufung auf 18 Jahre“. Im Rahmen dieser Informationsoperation verbreiteten russische Telegram-Kanäle gefälschte Deep-Fake-Videos, in denen behauptet wird, dass die stellvertretende Ministerpräsidentin für europäische und euro-atlantische Integration Olga Stefanishyna ein gesetzliches Ausreiseverbot für Frauen im Alter von 18 bis 27 Jahren vorgeschlagen habe und dass die Werchowna Rada, das ukrainische Parlament, diese Initiative angeblich unterstütze.
In Wirklichkeit gibt es natürlich keine Pläne für die Mobilisierung von Frauen in der Ukraine. Auch in der Werchowna Rada existieren oder kursieren keine Gesetzesentwürfe, die solche Änderungen vorschlagen. Dies gab das Center for Countering Disinformation (CCD) bekannt. Kurzum: Es gibt auch keine Regierungsbeschlüsse oder Erklärungen ukrainischer Beamter zur Massenmobilisierung von Frauen.
Die Desinformationsoperation zielte Berichten des CCD zufolge darauf ab, Panik zu schüren und die innenpolitische Lage der Ukraine zu destabilisieren.
„The first casualty when war comes is truth.“ Dieses berühmte und häufig verwendete Zitat geht auf den US-Senator Hiram Johnson im Jahr 1917 zurück, auch wenn Varianten davon auch Aischylos oder Rudyard Kipling zugeschrieben werden. An seiner Korrektheit hat es allerdings bis heute nichts verloren. Mehr noch: Die Beispiele etwa aus Deutschland haben gezeigt, dass Desinformationskampagnen auch Staaten betreffen können, die sich qua Definition nicht im militärischen Konflikt miteinander befinden. Zu beachten sind heute die Qualität solcher Kampagnen, auch durch den Einsatz von Artificial Intelligence und die Geschwindigkeit, mit der sich entsprechende Narrative verbreiten, etwa mithilfe von Multiplikatoren. Zu diesen gehört nicht nur die oben erwähnte, etwas schrille, Alina Lipp, sondern auch ganze alternative Nachrichtennetzwerke, wie bspw. der Blog „NachDenkSeiten“. Für diesen schreiben AutorInnen wie Ken Jebsen, Florian Warweg oder Lisa Fitz. Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Markus Linden attestierte dem Blog eine „Scharnierfunktion für verschwörungstheoretisches Denken“.
Johnsons Betrachtung entfaltet heute besondere Relevanz im Kontext globalisierter Kommunikationsräume, hybrider Kriegsführung und digitaler Desinformation. Kriege werden längst nicht mehr ausschließlich mit kinetischen Mitteln geführt, sondern zunehmend auch mit narrativen Waffen, die öffentliche Meinung, diplomatische Diskurse und geopolitische Allianzen prägen.
Die systematische Verzerrung, Unterdrückung oder Instrumentalisierung von Wahrheit dient hierbei der Legitimierung von Gewalt, der Mobilisierung gesellschaftlicher Zustimmung sowie der Delegitimierung gegnerischer Positionen. In einer Ära sozialer Medien, in der Informationsverbreitung nahezu instantan und unkontrollierbar erfolgt, wird die Wahrheit zum Schlachtfeld selbst. Folglich besitzt das Zitat nicht nur historischen, sondern auch aktuellen erkenntnistheoretischen und sicherheitspolitischen Wert, indem es vor der Erosion epistemischer Integrität in Konfliktsituationen warnt.





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