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Burkina Faso: Aus Ouagadougou in unsere Timelines - Warum Rihanna und R. Kelly mit einem Putschisten singen

Der Informationsraum in Westafrika, insbesondere im Sahel, ist maßgeblich durch lokale Realitäten geprägt: Seit dem Jahr 2020 kam es zu sechs gewaltsamen Machtübernahmen durch das Militär, begleitet von einer zunehmenden Abkehr von traditionellen internationalen Partnern wie der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten – insbesondere Frankreich und Deutschland. Gleichzeitig agieren transnationale dschihadistische Gruppierungen mit wachsendem Einfluss in der Region. Diese Entwicklungen verstärken sich gegenseitig in einer Art sicherheitspolitischer Abwärtsspirale, die zu einer chronischen Instabilität geführt hat. Die daraus resultierende Sicherheitskrise stellt mittlerweile eines der zentralen überregionalen Probleme des Sahels und angrenzender Staaten dar.


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Screenshot via IG


Die jeweiligen Militärjuntas wenden sich zunehmend neuen internationalen PartnerInnen zu – insbesondere Russland, China sowie regionalen Hegemonialmächten wie der Türkei und Saudi-Arabien. Diese verfolgen unterschiedliche Strategien zur Einflussnahme: von klassischer Diplomatie über Direktinvestitionen bis hin zu Sicherheitskooperationen, etwa mit der PMSC Wagner, die inzwischen unter dem Namen „Africa Corps“ auftritt. Die Hauptsender manipulativer Informationskampagnen in der Region sind dabei häufig die Junta-Regierungen selbst. Sie versuchen, ihre durch Putsche etablierte Macht durch die Verbreitung vermeintlicher sicherheitspolitischer Erfolge zu legitimieren. Diese Erfolgsmeldungen entbehren meist jeder empirischen Grundlage und werden durch russische Kommunikations- und Desinformationsstrukturen unterstützt.


Aus westlicher Perspektive wird Russland dabei häufig als zentrale treibende Kraft hinter Desinformationsoperationen im Sahelraum dargestellt. Dieses Bild konnte ich im Rahmen eigener Forschung und Interviewreihen allerdings relativieren und kontextualisieren. Details hierzu können auf Anfrage bereitgestellt werden.


In den letzten Wochen war ein bemerkenswerter Wandel zu beobachten: Die bislang vorrangig auf Französisch oder in lokalen Sprachen verbreiteten Propagandakampagnen rund um Captain Ibrahim Traoré – de facto Machthaber Burkina Fasos und erklärter “Liebling” Wladimir Putins – erscheinen zunehmend auch auf Englisch. Damit richtet sich die strategische Kommunikation nicht mehr nur an lokale Zielgruppen und die westafrikanische Diaspora, sondern explizit an ein neues Publikum: die westliche Öffentlichkeit.


Digitale Heldeninszenierung: Die mediale Erhebung Ibrahim Traorés

Seit seinem Putsch im September 2022 ist der burkinische Militärführer Ibrahim Traoré zu einer zentralen Figur des digitalen Pan-Afrikanismus geworden. Auf sozialen Netzwerken wird er als Erlöser gefeiert, als neuer Sankara glorifiziert und als Gegenmodell zu westlich geprägter Demokratie stilisiert. Seine Popularität beschränkt sich längst nicht mehr auf Burkina Faso: In Ländern wie Nigeria, Ghana oder Kenia, aber auch darüber hinaus, ist Traoré zum Symbol eines „neuen Afrikas“ geworden – jung, selbstbewusst, antikolonial.


Diese Popularität ist jedoch nicht ausschließlich das Ergebnis organischer Bewunderung. Vielmehr ist sie Ausdruck einer professionell inszenierten Desinformationskampagne, in der KI, Deepfakes und algorithmische Verstärkung eine zentrale Rolle spielen. Das Bild, das von Traoré in der digitalen Öffentlichkeit gezeichnet wird, ist nicht nur überhöht – es ist häufig schlichtweg falsch.


KI-generierte Inhalte und Deepfakes als Werkzeuge der Glorifizierung

Ein besonders prägnantes Beispiel für die mediale Mythenbildung ist ein virales Video, das Traoré bei einer angeblichen Rede gegen den Westen zeigt. In der Sequenz spricht er auf Englisch über „die Lügen der westlichen Medien“, kritisiert „die imperialistische Skriptlogik“ der Geschichte Afrikas und erklärt die freie Presse für korrupt. In einem Facebook-Post in bengalischer Sprache wird diese Rede als „beste des 21. Jahrhunderts“ gefeiert – das Video wurde über 1,9 Millionen Mal angesehen.


Doch die Rede ist vollständig KI-generiert. Eine Analyse des Materials zeigt typische Fehler synthetischer Inhalte: Verschwundene Fingernägel, unscharfe Handbewegungen und ein unnatürliches Sprechverhalten. Der ursprüngliche Upload auf YouTube war mit dem Hinweis versehen, es handle sich um „komplett fiktive“ Inhalte. Trotzdem verbreitete sich die Aufnahme unkritisch und ohne Einordnung auf Plattformen wie Facebook, X und TikTok, auch in Südafrika und Kenia. Andere Quellen hingegen ordnen den Fact-Check selbst als Desinformation ein.


Diese Form der Desinformation ist im Kontext Sahel kein Einzelfall. Immer häufiger tauchen Deepfake-Musikvideos auf, in denen internationale Stars wie R.Kelly und Rihanna an der Seite Traorés singen oder ihn in heroischer Pose feiern. (Originalvideo, weil es so erfunden klingt). Auch angebliche Nachrichtenvideos verbreiten sich viral, darunter Berichte über versuchte Attentate auf den burkinischen Machthaber oder über riesige staatliche Bauprojekte, die sich bei Überprüfung als Aufnahmen aus Algerien oder Serbien entpuppen.

In neueren englischsprachigen Propagandavideos, die in sozialen Netzwerken zirkulieren, lässt sich ein auffälliges rhetorisches Muster beobachten: Ibrahim Traoré wird zunehmend mit historischen Figuren wie Thomas Sankara und Muammar al-Gaddafi verglichen. Während Sankara als ikonischer Vertreter eines panafrikanischen, antikolonialen Selbstbehauptungskurses gilt, dient Gaddafi als Symbol für Widerstand gegen westliche Einmischung und als früher Befürworter afrikanischer Einheit. Diese Vergleiche werden visuell und narrativ aufgeladen – etwa durch überblendete Porträts, suggestive Soundtracks oder verfremdete Reden –, um Traoré in eine Traditionslinie populistischer, antiimperialistischer Führer einzureihen. Ziel ist es, seine politische Agenda nicht nur zu legitimieren, sondern auch mythologisch zu überhöhen. Die englischsprachige Ausrichtung dieser Inhalte deutet darauf hin, dass sich die Kampagnen zunehmend an ein globales Publikum richten und gezielt auf internationale Solidarität und Identifikation abzielen – insbesondere unter jungen, politikfernen oder systemkritischen Zielgruppen.


Der Export des Mythos: Wie Afrika von Traoré träumt

Die Inszenierung Traorés als afrikanischer Hoffnungsträger wirkt weit über die Grenzen Burkina Fasos hinaus. In Nigeria, das derzeit mit einer schweren Sicherheits- und Wirtschaftskrise zu kämpfen hat, sehen viele junge Menschen in ihm einen „einfachen Mann des Volkes“, der es wagt, dem Westen die Stirn zu bieten. Der Automechaniker Kehinde Sanni etwa sagt: „Nigeria braucht jemanden wie Ibrahim Traoré.“ Die Schauspielerin und Politikerin Hilda Dokubo postete auf X: „Er ist der Beweis, dass ein Land die Form seiner Führung annimmt.“ Diese Begeisterung ist ein Produkt emotional aufgeladener Erzählungen, die über soziale Medien massenhaft verbreitet werden. Videos, Memes und manipulierte Bilder vermitteln den Eindruck, Traoré sei nicht nur ein erfolgreicher Reformer, sondern auch ein Symbol für afrikanische Selbstbestimmung. Analysten warnen jedoch: Diese Art der Ikonisierung ist gefährlich. Sie suggeriert, dass autoritäre Herrschaft ein legitimer Weg sei, um Fortschritt und Unabhängigkeit zu erreichen.


Die Begeisterung für Traoré wird häufig nicht nur emotional, sondern auch politisch instrumentalisiert. In mehreren Ländern Westafrikas, darunter auch Mali und Niger, hat sich ein Militärcampanismus etabliert, der sich offen gegen westliche Einflüsse richtet und Russland als strategischen Partner favorisiert. Die 2023 gegründete Allianz der Sahelstaaten – bestehend aus Burkina Faso, Mali und Niger – bildet den institutionellen Rahmen für diese geopolitische Neuausrichtung.


Während sich die Desinformationskampagnen rund um Ibrahim Traoré zunächst auf französischsprachige Inhalte und regionale Sprachräume konzentrierten, ist mittlerweile ein klarer strategischer Shift hin zu englischsprachiger, international adressierter Kommunikation erkennbar – ein Wandel, der nicht nur auf eine Erweiterung der Zielgruppen hindeutet, sondern auch neue Dynamiken in der globalen Wahrnehmung, Rezeption und politischen Wirksamkeit dieser Narrative mit sich bringt.


Russische Einflussnahme und orchestrierte Desinformationsnetzwerke

Die massenhafte Verbreitung positiver Inhalte über Traoré ist kein Zufall, sondern Teil eines strategischen Informationskriegs. Russlands Rolle geht dabei weit über Symbolik hinaus. Seit dem Russland-Afrika-Gipfel 2023 kursieren verstärkt Bilder von Traoré mit Präsident Wladimir Putin. Traoré war auch am 9. Mai neben Putin und Xi Ping als Teilnehmer der Parade zum "Tag des Sieges" (День Победы) in Moskau zu Gast. Die Kooperation mit dem Wagner-nahen Africa Corps wird offen dargestellt – militärisch wie ideologisch. Besonders deutlich wurde diese Einflussnahme im April 2025, nachdem ein US-General im Senat erklärte, Burkina Faso verwende seine Goldreserven zur Absicherung der Junta. Binnen Tagen verbreitete ein Netzwerk aus 165 Facebook-Konten die Falschmeldung, Putin habe Spezialeinheiten entsandt, um Traoré vor einem US-geführten Umsturz zu schützen. Über 10 Millionen Menschen sahen die Beiträge.

Diese Formen der Propaganda sind darauf ausgelegt, alternative geopolitische Narrative zu etablieren: Afrika soll sich vom Westen emanzipieren und sich einer multipolaren Weltordnung unter Einschluss Russlands zuwenden. Militärführer wie Traoré werden dabei als Wegbereiter einer afrikanischen Renaissance inszeniert – obgleich die Realität eine andere Sprache spricht.


Die Realität vor Ort: Repression, Instabilität und gefährliche Illusionen

Während die digitale Welt Traoré feiert, bleibt die Lage in Burkina Faso dramatisch. Das Land ist laut dem Global Terrorism Index 2025das vom Terrorismus am stärksten betroffene Land der Welt. Seit 2015 forderten islamistische Anschläge zehntausende Todesopfer. Große Teile des Staatsgebiets entziehen sich jeglicher Kontrolle. Gleichzeitig nimmt die Repression im Inneren zu: Journalistinnen, Menschenrechtsaktivisten und Kritiker des Regimes werden verfolgt, inhaftiert oder öffentlich diffamiert.


Die Organisation Human Rights Watch berichtete im Mai 2025 von einem Massaker an über 100 ZivilistInnen durch Regierungstruppengegen Fulani. Kritiker wie der Finanzanalyst Maixent Some, der Desinformation über Traoré öffentlich entlarvte, wurden zur Fahndung ausgeschrieben. In den sozialen Medien werden kritische Stimmen systematisch übertönt oder gezielt diskreditiert – eine neue Form digitaler Repression durch Online-Mobs.

Diese Entwicklung ist besonders besorgniserregend, weil sie das Bild einer erfolgreichen autoritären Alternative zur Demokratie festigt – basierend auf Illusionen, nicht auf überprüfbaren Fakten. Die algorithmische Logik der sozialen Netzwerke verstärkt diesen Effekt zusätzlich: Was polarisiert und emotionalisiert, wird belohnt. Was differenziert und aufklärt, verschwindet im Hintergrundrauschen.


Spiel mit der Realität und der Lüge

Ein zentraler Bestandteil von Ibrahim Traorés Legitimation nach innen wie außen ist das Narrativ der wirtschaftlichen Selbstbestimmung – insbesondere im Umgang mit den Goldreserven Burkina Fasos. In öffentlichen Reden und über digitale Kanäle wird suggeriert, dass das Gold „dem Volk zurückgegeben“ werde und der Reichtum des Landes nicht länger von ausländischen Akteuren, insbesondere Frankreich, ausgebeutet werde. Diese Erzählung trifft in einer Region, in der die koloniale Ausbeutung materieller Ressourcen bis heute nachwirkt, zweifellos einen historischen Nerv. Doch gerade hierin liegt die Gefahr: Denn Traoré benutzt diese berechtigte Kritik nicht für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den kolonialen Kontinuitäten oder den strukturellen Ursachen von Gewalt, Instabilität und Ungleichheit im Sahel. Vielmehr dient sie der nachträglichen moralischen Aufwertung seines Putsches und der Konsolidierung seiner Machtbasis. Gleichzeitig wird Russland, das zunehmend militärische und wirtschaftliche Interessen in der Region verfolgt, als vermeintlich „partnerschaftlicher“ Gegenpol zum Westen eingeführt – faktisch jedoch als neuer externer Machtfaktor mit kolonialähnlichen Abhängigkeitsstrukturen. So wird ein emanzipatorischer Diskurs umgedeutet und für autoritäre und geopolitisch einseitige Zwecke instrumentalisiert.


Der Kult um Traoré als Symptom globaler Desinformationsdynamiken

Der Fall Ibrahim Traoré ist mehr als ein regionaler Sonderfall. Er steht exemplarisch für eine neue Art der politischen Kommunikation, in der KI-generierte Inhalte, internationale Einflussnahmen und soziale Netzwerke zusammenwirken, um autoritäre Narrative zu fördern und demokratische Debatten zu unterdrücken. Die digitale Inszenierung eines Militärführers als Heilsbringer zeigt, wie machtvoll visuelle Symbolik und algorithmisch verstärkte Emotionalisierung sein können – besonders in politisch fragilen Kontexten. Doch auch unabhängig vom digitalen Informationsraum hat es der Hype um Traoré die ca. 4.600 km Luftlinie von Burkina Faso bis Berlin zurückgelegt, wie ein frisches Graffiti am Berliner Baumschulenweg zeigt.

 

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Was bedeutet das für Deutschland?

Für Deutschland hat die Dynamik rund um Ibrahim Traoré und die damit verbundene Informationsarchitektur weitreichende sicherheits-, entwicklungs- und außenpolitische Konsequenzen. Die gezielte Abkehr von westlichen Partnern wie Frankreich und Deutschland durch Teile der Sahelstaaten schwächt nicht nur bestehende entwicklungspolitische und diplomatische Strukturen, sondern auch sicherheitsrelevante Kooperationsformate. Besonders kritisch ist dabei, dass sich die jüngsten Desinformationskampagnen zunehmend explizit an westliche Zielgruppen richten. Dies birgt die Gefahr, dass nicht nur die Narrative vor Ort, sondern auch die internationale Wahrnehmung deutscher und europäischer Politik im Sahel untergraben und delegitimiert werden – mit potenziellen Folgen für öffentliche Unterstützung, Finanzierung und die strategische Kohärenz europäischer Afrikapolitik.

Angesichts unserer bestehenden inhaltlichen Verankerung in diesem Feld werden wir die Dynamiken weiterhin engmaschig beobachten, einordnen und über relevante Entwicklungen kontinuierlich informieren. Um nichts mehr zu verpassen, abonnieren Sie den Informationsraum auf Substack!

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