top of page

ARTE als europäische Medienplattform: Transnationale Kulturvermittlung, demokratische Resilienz und die Stärkung medialer Souveränität in Europa

Aktualisiert: 17. Nov.


Bildschirmfoto: artlist.io
Bildschirmfoto: artlist.io

Der Oktober 1990 markiert nicht nur den historischen Zeitpunkt der finalen Wiedervereinigung der BRD und der ehemaligen DDR, sondern auch an der ehemaligen „Westfront“ wuchs auf fernsehkultureller Ebene weiter zusammen, was europäisch zusammengehört. Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand und der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl hatten sich bereits sechs Jahre zuvor über den Gräbern von Verdun die Hände zur Versöhnung gereicht.

Am 02. Oktober 1990 (das Datum wurde bewusst gewählt) verabschiedeten die beiden größten Nationen des Kontinents den „Vertrag zwischen den deutschen Bundesländern und der Französischen Republik zum Europäischen Fernsehkulturkanal“, gefolgt vom „Gründungsvertrag der ARTE G.E.I.E“ ein halbes Jahr danach.

Hervorgegangen aus dem französischen „La SEPT“ (Société d’Edition de Programmes de Télévision) und dem deutschen ARTE Deutschland ist die „Association Relative à la Télévisione Européenne (A.R.T.E.) Groupement Européen d’Intérêt Economique (G.E.I.E.) heute ein binationaler, öffentlich-rechtlicher Kulturkanal mit Sitz in Straßburg. Mit seiner vielfältigen Mischung aus hochwertigen Dokumentationen und preisgekrönten TV-Serien oder Kinofilmen ist der Sender „zu einem wichtigen Kulturforum und zu einem schwergewichtigen Akteur des europäischen Kommunikationsraums geworden“ (vgl. Haltern 2009).


Von der Kulturkooperation zur europäischen Öffentlichkeit


Nun wird diese Zusammenarbeit deutlich ausgebaut und intensiviert.

Bereits am 13. Juni 2025 verkündeten der Beauftrage der Regierung für Kultur und Medien, Dr. Wolfram Weimer (parteilos) und seine französische Amtskollegen Rachida Dati im Rahmen eines informellen Treffens der europäischen KulturministerInnen in Paris eine weitere Intensivierung der Zusammenarbeit.

Geplant ist die Weiterentwicklung des Senderverbunds zu einer umfassenden europäischen Medienplattform, die Menschen über Sprachgrenzen hinweg verbinde und die „kulturelle Souveränität Europas“ festige, so Weimer. Ziel sei es, „Europas Stimme in der internationalen Medienlandschaft zu stärken und eine kritische und demokratische Öffentlichkeit zu fördern“.

Den Sender selbst betrachtet der Kulturstaatsminister als ein „Erfolgsmodell und Leuchtturm der europäischen Idee“. Die anvisierte Medienplattform solle das Angebot eines europäischen Streamingdienstes in 24 Sprachen beinhalten, welches nationale Rundfunk- und Medienangebote ergänzen und gleichzeitig neue Zielgruppen erschließen soll. Dadurch solle die Medienvielfalt in Europa gestärkt, sowie Desinformation bekämpft werden.

Deutschland und Frankreich verständigten sich außerdem darauf, die Zusammenarbeit der Auslandssender Deutsche Welle und France Médias Monde zu verstärken. Gemeinsam wolle man verlässliche Informationen weit über die Grenzen der EU hinaus verbreiten, erklärte Weimer weiter. Dies lässt sich auch als eine Reaktion auf den Rückzug der USA aus der Finanzierung unabhängiger Medien verstehen. Dort hatte Präsident Donald Trump die Zuschüsse für die Auslandsmedien Voice of Europe (welches u.a. als Nachrichtenportal für russische Propaganda diente) und Radio Free Europe gestrichen.

Der Ausbau des Sendeverbunds bietet zahlreiche Vorteile, insbesondere im Hinblick auf die Förderung europäischer Öffentlichkeit, kultureller Bildung und demokratischer Medienstrukturen. ARTE ist ein einzigartiges Beispiel für ein transnationales Medium mit europäischer Ausrichtung. Durch seine Programminhalte schafft der Sender eine Öffentlichkeit jenseits nationaler Grenzen und fördert das Bewusstsein für gemeinsame kulturelle und gesellschaftliche Themen. Dieser Aspekt ist besonders im Kontext einer europäischen Medienlandschaft von Bedeutung, die nach wie vor stark national geprägt ist (vgl. Brüggemann 2005; bpb.de).


Ein zentraler Vorteil liegt in der Förderung interkultureller Kreativität und Medieninnovationen. ARTE dient als Plattform für experimentelle und kulturübergreifende Produktionen. Die Zusammenarbeit mit Partnern wie dem ORF (Österreich), der RTBF (Belgien) oder der TVP (Polen) schafft neue Möglichkeiten der audiovisuellen Kreativität und stärkt gleichzeitig die kulturelle Vielfalt. Der Sender fungiert somit als „Werkstatt“ für neue narrative Formate und interkulturelle Ausdrucksweisen, was auch für die Medien- und Kulturforschung von großem Interesse ist.


Medienkompetenz und Aufklärung als Antwort auf autoritäre Einflussnahme


Darüber hinaus trägt der Ausbau von ARTE zur Stärkung demokratischer Werte und speziell zur Abwehr von Desinformation bei. Das nun geplante, ambitionierte Vorhaben zielt darauf ab, ein breites Publikum in ganz Europa zu erreichen, Medienkompetenz zu fördern und gezielt Desinformationskampagnen entgegenzuwirken. In der entsprechenden Veröffentlichung heißt es: „Grund für die gemeinsame Initiative sind die wachsenden Bedrohungen für Europas Demokratien durch die aggressive Informationspolitik autoritärer Staaten.“

Aus demokratietheoretischer Sicht stellt dies einen wichtigen Beitrag zur medialen Resilienz Europas dar. Diesbezüglich positionierte sich der Kulturstaatsminister klar: „In einer Zeit, da Autokratien und Diktaturen den globalen Meinungsmarkt mit Desinformationen überfluten, ist die Zusammenarbeit im Medienbereich wichtiger denn je. Wir bündeln unsere Kräfte, um ein starkes Gegengewicht zu Desinformationen zu schaffen, die Integrität unserer Informationssysteme zu schützen und so unsere Demokratien zu stärken.“

Schon seit vielen Jahren beinhaltet das ARTE-Programme gut-recherchierte und hochwertig-produzierte Dokumentationen zu internationalen Desinformationskampagnen oder hybriden Operationen wie bspw. Trump, Orban, Putin: Die verheerende Macht der Desinformation, Desinformation: Krieg im 21. Jahrhundert, oder Fake News: Russische Propaganda für Anfänger. Diese finden sich sowohl in der ARTE-Mediathek, als auch auf dem sendereigenen YouTube-Kanal. Der Sender versteht es also bereits als seine öffentlich-rechtliche Aufgabe, über destabilisierende Aktionen zu berichten und aufzuklären.

Analog zur Bundesrepublik sind auch in der Grande Nation mehrere staatliche Organisationen aktiv daran beteiligt, Desinformationskampagnen zu bekämpfen, auf dessen Erkenntnisse der Senderverbund, speziell in der Recherchephase, zurückgreifen kann. Eine zentrale Rolle spielt dabei Viginum, der „Vigilance and Protection Service Against Foreign Digital Interference“. Diese 2021 gegründete Einrichtung ist beim General-Sekretariat für Verteidigung und nationale Sicherheit (SGDSN) angesiedelt und überwacht digitale Einflusskampagnen, die aus dem Ausland gesteuert werden. Viginum konnte bereits große Netzwerke wie „Portal Kombat“, ein pro-russisches Propagandanetz mit fast 200 Webseiten, aufdecken und arbeitet zudem daran, Fälschungen wie nachgeahmte Regierungsseiten oder Deepfakes zu identifizieren und unschädlich zu machen.


Auch das Verteidigungsministerium ist im Kampf gegen Desinformation engagiert. Mit dem interministeriellen Projekt „Résistance“, das 2025 gestartet wurde, fördert es Forschung und Innovation, um die Widerstandsfähigkeit der französischen Gesellschaft gegenüber gezielten Manipulationen zu stärken. Ergänzend dazu sieht das Gesundheitsministerium die Bekämpfung von Falschinformationen im medizinischen Bereich als eine Priorität, besonders in Zusammenhang mit Impfkampagnen, Pandemien oder anderen Fragen der öffentlichen Gesundheit.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Bildung. Über das CLEMI (Centre pour l’éducation aux médias et à l’information) unterstützt das Bildungsministerium Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler dabei, Medieninhalte kritisch einzuordnen und Desinformation zu erkennen. Projekte wie der „Tour de France de l’EMI et de la citoyenneté“, die in Zusammenarbeit mit France Télévisions durchgeführt werden, sollen zudem Eltern und die breite Öffentlichkeit stärker für das Thema sensibilisieren.

Auch die Medienlandschaft selbst wird durch staatliche Initiativen eingebunden. Die Agence France-Presse (AFP) koordiniert mit Unterstützung von Google France die Initiative „Objectif Désinfox“, in der über 20 Medienorganisationen gemeinsam an Faktenchecks arbeiten und ihre journalistischen Kapazitäten bündeln. Frankreich agiert darüber hinaus nicht isoliert, sondern beteiligt sich aktiv an europäischen Programmen wie den „Décodeurs de l’Europe“, die EU-weit Fact-Checking betreiben und Medienaufklärung fördern.


Fazit


Festzuhalten ist, dass der geplante Ausbau von ARTE zu einer europäischen Medienplattform erhebliches Potenzial für die Stärkung demokratischer Öffentlichkeit, die Förderung kultureller Vielfalt und die Abwehr von Desinformation bietet. Gerade im Kontext zunehmender digitaler Einflussnahmen und gezielter hybrider Aktionen gewinnt der Senderverbund eine herausragende Bedeutung. Durch seine grenzüberschreitende Reichweite, seine mehrsprachige Programmausrichtung und den hohen journalistischen Qualitätsanspruch bietet er ein wirksames Gegengewicht zu propagandistischen Inhalten und vereinfachenden Narrativen. ARTE fungiert damit nicht nur als Kulturvermittler, sondern auch als Garant für vertrauenswürdige Informationen, die über nationale Öffentlichkeiten hinaus wirken. Indem der Sender kritische Medienkompetenz fördert, eine europäische Öffentlichkeit etabliert und die Resilienz gegenüber manipulativen Diskursen stärkt, leistet er einen zentralen Beitrag zur Sicherung demokratischer Strukturen in Europa. Der Ausbau des Verbundes zu einer umfassenden Medienplattform kann somit als strategische Investition in die mediale Souveränität und in die Zukunftsfähigkeit europäischer Demokratien verstanden werden. ARTE steht beispielhaft für eine zukunftsorientierte, öffentlich-rechtliche Medienlandschaft, die europäische Werte, kulturelle Diversität und journalistische Qualität miteinander verbindet.

Kommentare


Digitaler_Ungehorsam_Logo_Schriftzug.png

Gesellschaft für digitalen Ungehorsam mbH

Schivelbeiner Straße 8

10439 Berlin

Tel:  030 - 21 46 50 80

Fax: 030 - 69 08 81 01

SOCIAL
  • Schwarz LinkedIn Icon
  • Instagram
bottom of page