Das 16. Zentrum des FSB im Fokus: Ein OSINT-Phaleristik-Bericht zu Russlands Cyber- und Abhörzentrum
- anamariakoridze
- 12. Aug.
- 4 Min. Lesezeit
Ein neuer Bericht des finnischen Softwareunternehmens CheckFirst mit dem Titel OSINT & Phaleristics: Unveiling FSB’s 16th Center SIGINT Capabilities befasst sich mit dem 16. Zentrum des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, der zentralen Abteilung für Fernmelde- und Elektronische Aufklärung (SIGINT). Diese Organisationseinheit hat einen Großteil der Abhör- und “Codeknack”-Infrastruktur des sowjetischen KGB übernommen. Ihr wird vorgeworfen, ihre Fähigkeiten zu nutzen, um sowohl im Ausland als auch innerhalb Russlands Kommunikation abzufangen. Darüber hinaus werden ihr Cyberangriffe auf ausländische Regierungen, diplomatische Vertretungen, NGOs und Unternehmen weltweit zugeschrieben.
Das Besondere an diesem Bericht ist, dass er sich auf eine ungewöhnliche Quelle stützt: die Phaleristik, also die wissenschaftliche Beschäftigung mit Orden, Ehrenzeichen und Abzeichen. Anhand dieser Insignien rekonstruiert CheckFirst zentrale Elemente der Geschichte, der internen Struktur sowie der operativen Reichweite des auch im Ukraine Krieg relevanten 16. Zentrums.
Der Bericht zeigt zunächst auf, dass in vielen Ländern zwar Abzeichen, Medaillen oder Fahnen für Streitkräfte und Behörden entworfen werden, russische Institutionen jedoch eine besonders enge und traditionsreiche Bindung an symbolische Insignien pflegen. Bereits in der Sowjetzeit wurden Millionen solcher Abzeichen produziert, um Personen, Berufsgruppen oder staatliche Einrichtungen zu ehren und um Ideologie zu festigen. Heute sind diese Objekte begehrte Sammlerstücke und zugleich wertvolle Zeitdokumente, da sie es Open-Source-ForscherInnen ermöglichen, die historische und organisatorische Entwicklung russischer Einheiten zu verfolgen. Zudem dienen sie auch als eine Art visuelles Archiv der Selbstidentität, Struktur und Entwicklung der Institutionen. Innerhalb der sogenannten Silowiki, den personifizierten Macht- und Sicherheitszentren, haben Insignien ihren hohen Stellenwert beibehalten und werden bis heute in großen Mengen für Organisationen wie das Innenministerium, das Verteidigungsministerium, den Militärgeheimdienst GRU, den Auslandsgeheimdienst SVR und, wie in diesem Fall, den FSB hergestellt.
Das Team von CheckFirst stellte die Hypothese auf, dass sich durch das systematische Sammeln und Entschlüsseln solcher Abzeichen bislang unbekannte Teile der Arbeit des 16. Zentrums sichtbar machen lassen.
Von Online-Marktplätzen zu Metadaten
Über einen Zeitraum von zwölf Monaten sammelten die ForscherInnen mehr als 200 Bilder von Insignien, die mit dem 16. Zentrum in Verbindung stehen. Die Quellen lassen sich dabei in drei Hauptkategorien einteilen:
Websites von Herstellern
Wiederverkaufsplattformen wie z.B. Meshok (wie hier)
Spezialisierte Foren wie z.B. Faleristika.info, MirFaleristiki and Zasluga.msk.ru
Jedes Bild wurde mit der Software digiKam katalogisiert, mit Metadaten versehen und auf visuelle Elemente wie Abkürzungen, Symbole, Datumsangaben oder kartografische Hinweise untersucht.
Historische Einordnung und Symbolik
Die Einheit wurde offiziell 1973 als 16. Direktion des sowjetischen KGB gegründet, nachdem die für Kryptografie zuständige Direktion D vom Bereich der Kommunikationsverschlüsselung abgetrennt worden war. Die Direktion betrieb sowjetische SIGINT-Stationen, fing ausländische Kommunikation ab, installierte Abhörtechnik und führte Kryptanalysen durch. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR ging die 16. Direktion in der FAPSI (Föderale Agentur für Regierungskommunikation und Information) auf. Mit der Auflösung der FAPSI im Jahr 2003 übernahm der FSB deren inländische SIGINT-Kapazitäten und behielt die traditionsreiche Bezeichnung „16” bei.
Heute ist das 16. Zentrum direkt dem Direktor des FSB unterstellt. Es wird mit einigen der technisch versiertesten russischen Cyber-Spionagegruppen in Verbindung gebracht
Der Bericht widmet der Entschlüsselung der Symbolik des Zentrums besondere Aufmerksamkeit. Alle Abzeichen folgen dem FSB-Standard: „[...] the 16th Center employs the standard format of the shield and sword, symbols inherited from the KGB, against a red background, a color traditionally associated with the FSB. [...] the insignia also always features the Russian coat of arms adopted in 1993 that actually restored pre-Soviet symbolism. This emblem consists of a double-headed eagle clutching a scepter and an orb surmounted by a cross, representing imperial authority and the Orthodox Church, respectively.” (S.12).
Unterhalb des Adlers ist das 16. Zentrum auf zwei Arten dargestellt:
Ein Globus mit dem kyrillischen Buchstaben „и“ („i”) – mutmaßlich ein Verweis auf „Information“.
Eine Antenne neben einem Schlüssel, der von einem Blitz zerschlagen wird: eine klare Kombination aus SIGINT- (Antenne, Blitz) und Kryptanalyse-Motiven (gebrochener Schlüssel), die die beiden Kernaufgaben des Zentrums illustrieren: Abfangen von Kommunikation und “Codeknacken”.
Innere Struktur
Eine der bedeutendsten Erkenntnisse des Berichts ist die Identifizierung von mindestens zehn verschiedenen Abteilungen innerhalb des 16. Zentrums - bezeichnet mit den Buchstaben A, B, V, D, K, P, S, SP, ST und T - sowie zusätzlichen Untereinheiten. Die genauen Zuständigkeiten sind nicht vollständig bekannt, doch bestimmte Abzeichen liefern Hinweise auf die Aufgaben. Unter Berücksichtigung gängiger Personalstrukturen des FSB schätzen die ForscherInnen die Belegschaft des 16. Zentrums auf mindestens 566 Personen.
Besonders bemerkenswert ist, dass die Analyse der Abzeichen die Lokalisierung von zehn SIGINT-Anlagen ermöglichte, die höchstwahrscheinlich vom 16. Zentrum betrieben werden. Diese „Zentren für Spezialkommunikation“ (TsSS) sind über ganz Russland verteilt und wurden teilweise von sowjetischen Auslandsbasen verlegt.
Beispiele sind:
Einheit 03110 - früher in Lourdes (Kuba), heute in Adler nahe der abchasischen Grenze; überwacht Kaukasus und Nahen Osten.
Einheit 11380 - bei Temryuk, mit großen Parabolantennen für den Schwarzmeer- und Nahostraum.
Einheit 44231 - Oblast Saratow, fokussiert auf Satellitensignale aus Zentralasien.
Einheit 49911 - Oblast Pskow, überwacht baltische Kommunikation.
Einheit 51952 - südlich von Moskau, historisch auf diplomatische Kommunikation spezialisiert.
Einheit 61240 - nahe Sankt Petersburg, richtet sich auf Nordeuropa.
Einheit 61608 - in Moskau, älteste Einheit, aktiv seit 1918.
Einheit 70822 - Chabarowsk, mit CDAA-Antennenfeldern auf Nordostasien ausgerichtet.
Einheit 83417 - Region Wladiwostok, auf den Nordpazifik fokussiert.
Einheit 83521 - Exklave Kaliningrad, überwacht Europa.
Diese Standorte sind mit Satellitenkommunikationsantennen und kreisförmigen Antennenfeldern ausgestattet. Teilweise befinden sie sich in der Nähe von Glasfaserkabeltrassen. Dies lässt auf die Fähigkeit zum terrestrischen Abhören schließen.
Erkenntnisse und Bedeutung der Methode
Die Ergebnisse bestätigen, dass die militärische Phaleristik ein wirksames Instrument der Geheimdienstforschung sein kann – insbesondere in Kontexten mit einer ausgeprägten Erinnerungskultur. Im Fall des 16. Zentrums ermöglichte die Analyse der Abzeichen:
Die Rekonstruktion der Entwicklung und Genealogie der Einheit.
Einblicke in interne Strukturen und mögliche Abteilungsfunktionen.
Die Geolokalisierung aktiver SIGINT-Standorte.
Gleichzeitig betont der Bericht, dass Abzeichen stets eine kuratierte Selbstdarstellung sind und nicht das gesamte operative Bild widerspiegeln. Ihr Potenzial entfaltet die Methode vor allem in Verbindung mit Satellitenbildern, Archivquellen und anderen OSINT-Daten. Der Bericht zeigt über die unmittelbaren Erkenntnisse zum 16. Zentrum des FSB hinaus, wie symbolische Artefakte dabei helfen können, Geheimhaltung zu durchdringen. In einem Umfeld, in dem russische Geheimdienste nur selten offiziell in Erscheinung treten, können selbst kleinste Designelemente historische und operationelle Einblicke ermöglichen.






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