top of page

Zwischen Desinformation und Wahlmanipulation - Polen im Kontext

Bildquelle: Sergei Gapon/AFP/Getty Images
Bildquelle: Sergei Gapon/AFP/Getty Images

In den vergangenen Jahren hat sich der Vorwurf des Wahlbetrugs zu einem der wirkungsvollsten Narrative strategischer Desinformation entwickelt. Was früher oft Ausdruck tatsächlicher Missstände war, wird heute zunehmend als Waffe politischer Einflussnahme eingesetzt, und das nicht nur in autoritär regierten Staaten. Die Behauptung, eine Wahl sei „gestohlen“ worden, hat das Potenzial, demokratische Prozesse zu delegitimieren, Institutionen zu destabilisieren und das Vertrauen der Gesellschaft nachhaltig zu untergraben.


Das zeigte sich besonders eindrücklich im Jahr 2020 in den USA: Nach seiner Niederlage gegen Joe Biden sprach Donald Trump wiederholt und öffentlich von systematischem Wahlbetrug, ohne dafür glaubwürdige Belege zu liefern. Bereits vor der Wahl hatte er Zweifel an der Gültigkeit des Urnengangs gesät. Die Folgen waren dramatisch: Das Narrativ des Wahlbetrugs verfestigte sich und gipfelte schließlich im Sturm auf das Kapitol.

Auch in Deutschland waren solche Narrative zu beobachten. So kursierten nach der Bundestagswahl 2025 in den sozialen Netzwerken zahlreiche teils professionell produzierte Videos, in denen Wahlbetrug zugunsten etablierter Parteien suggeriert wurde. Insbesondere wurde der Vorwurf laut, die AfD sei systematisch benachteiligt worden. Die Videos zeigten gefälschte Szenen von Wahlmanipulationen, die später eindeutig als Desinformationen identifiziert wurden. Die Desinformationskampagne zielte dabei weniger auf einen konkreten Wahlausgang als vielmehr auf das Vertrauen in das Wahlsystem insgesamt ab.

Ein Blick in die Republik Moldau im Vorfeld des EU-Referendums und der Präsidentschaftswahl 2024 zeigt, wie russische Akteure versuchten, das Ergebnis zugunsten kremlnaher KandidatInnen zu manipulieren: durch gezielte Desinformationskampagnen, Stimmenkauf und organisierte Busfahrten für WählerInnen. Obwohl die proeuropäische Amtsinhaberin Maia Sandu schließlich siegte, erklärten russische Regierungsstellen das Resultat unmittelbar danach für illegitim und stellten massive Manipulationsvorwürfe in den Raum. Die Absicht war offenkundig: Das Vertrauen in den moldauischen Wahlprozess sollte erschüttert und dessen demokratische Glaubwürdigkeit untergraben werden.

Ein besonders interessantes Beispiel ist Rumänien. Wie wir in der ersten Ausgabe unseres Newsletters ausführlich berichtet haben, führten gezielte, russlandnahe Aktivitäten zur Annullierung der Wahlen. Der Kandidat Călin Georgescu, der in Umfragen gut abgeschnitten hatte und Verbindungen zu prorussischen Netzwerken unterhielt, wurde infolge dieser Entwicklungen nicht zur zweiten Wahlrunde zugelassen. Das Rennen entschieden schließlich George Simion und der proeuropäische Kandidat Nicușor Dan unter sich, wobei Dan schließlich als Sieger hervorging. Simion erkannte den Sieg zunächst nicht an und rief zu Massenprotesten auf.


Jenseits der (Desinfo-)Narrative: Reale Wahlmanipulation


In den meisten dieser Fälle wurden die erhobenen Vorwürfe von unabhängigen Stellen geprüft und als unbegründet eingestuft. Dies unterstreicht die Funktionsfähigkeit demokratischer Institutionen, obwohl sie massivem Druck ausgesetzt sind. Doch die Tatsache, dass solche Erzählungen zunehmend strategisch eingesetzt und instrumentalisiert werden, bedeutet nicht, dass Bedrohungen wie Wahlmanipulationen nicht real wären. Im Gegenteil: Gerade dort, wo demokratische Kontrollmechanismen geschwächt oder unterlaufen werden, zeigt sich, wie konkret und wirkungsvoll solche Eingriffe sein können.

Bei den georgischen Parlamentswahlen im Oktober 2024, aus denen die regierende Partei Georgian Dream mit offiziell 53,9 Prozent der Stimmen hervorging, wurden zahlreiche Verstöße dokumentiert: Stimmenkauf, Einschüchterung von WählerInnen vor und während der Wahl sowie manipulative Praktiken bei der Stimmauszählung. Die Wahlen wurden nicht nur von den Oppositionsparteien, sondern auch von internationalen BeobachterInnen als problematisch eingestuft.  Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der Europarat und das EU-Parlament äußerten öffentlich Zweifel am Wahlausgang. Die Europäische Union forderte umfassende Untersuchungen und eine transparente Aufarbeitung der Unregelmäßigkeiten, doch bis heute ist kaum etwas davon umgesetzt worden. Die georgische Regierung ignoriert nicht nur die Kritik, sondern hat seither weitere repressive Gesetze verabschiedet, die zivilgesellschaftliche Organisationen und unabhängige Medien massiv unter Druck setzen.


Polen im Fokus: Neuauszählung?


Die jüngste Entwicklung in dieser Reihe betrifft Polen. In der zweiten Ausgabe unseres Newsletters wurde auf den äußerst knappen Wahlsieg des nationalkonservativen Kandidaten Karol Nawrocki hingewiesen, der sich mit 50,89 Prozent der Stimmen knapp gegen Rafał Trzaskowski durchsetzen konnte.

Unmittelbar nach der Stichwahl tauchten Hinweise auf Unregelmäßigkeiten auf, insbesondere aus Wahlbezirken, in denen Trzaskowski im ersten Wahlgang deutlich vorne gelegen hatte, nun aber überraschend unterlag. Die Berichte schlugen schnell hohe politische Wellen. Über 50.000 Wahleinsprüche wurden beim Obersten Gericht eingereicht. In 13 Wahlkreisen wurde eine Neuauszählung angeordnet; in elf davon bestätigten sich kleinere Unregelmäßigkeiten, meist zulasten Trzaskowskis. Bisher handelt es sich dabei vor allem um formale Fehler oder fehlerhafte Protokolle, die nicht ausreichen, um das landesweite Ergebnis zu kippen. Dennoch reicht das öffentliche Misstrauen aus, um eine breite politische Debatte loszutreten. Laut Verfassung muss bis spätestens 2. Juli eine Entscheidung getroffen werden.

Die zunehmende Vermischung echter Unregelmäßigkeiten mit gezielten Desinformationskampagnen ist eine der größten Herausforderungen für demokratische Gesellschaften. Einerseits nutzen autoritäre AkteurInnen gezielt Zweifel an der Integrität von Wahlen, um das Vertrauen in Institutionen zu untergraben und die gesellschaftliche Spaltung zu vertiefen. Andererseits gibt es reale Fälle von Wahlfälschung, Machtmissbrauch oder struktureller Manipulation, die von staatlichen und internationalen AkteurInnen ernst genommen und untersucht werden müssen.

Kommentare


Digitaler_Ungehorsam_Logo_Schriftzug.png

Gesellschaft für digitalen Ungehorsam mbH

Schivelbeiner Straße 8

10439 Berlin

Tel:  030 - 21 46 50 80

Fax: 030 - 69 08 81 01

SOCIAL
  • Schwarz LinkedIn Icon
  • Instagram
bottom of page