USA: Zwischen „Law and Order“ und Verfassungsbruch - Trumps Militär-Einsatz in Kalifornien
- Markus Watzl
- 15. Juni
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 17. Nov.

Die kalifornische Metropole Los Angeles, immerhin die zweitgrößte Stadt der USA mit ca. 3,8 Mio. Einwohnern, besitzt eine eigene Historie bezüglich Protestbewegungen, die weit über die Grenzen des Bundesstaats hinausreichen. Man denke bspw. an die sog. „Watts Riots“, die 1965 ausbrachen oder die „Los Angeles Riots“ von 1992.
Heute wiederholt sich die Geschichte – und die Lage eskaliert. Am 6. Juni 2025 verhafteten US-Bundesagenten der Immigration and Customs Enforcement (ICE) mehrere Personen in und um die Innenstadt von Los Angeles: Einige Tagelöhner in der Nähe eines Home Depot in Westlake, andere arbeiteten im Fashion District bei Ambience apparel. Die MigrantInnen wurden von bewaffneten und teilweise maskierten Bundesagenten mit Handschellen gefesselt und in nicht gekennzeichnete Fahrzeuge gezwungen. 44 Menschen wurden wegen mutmaßlicher Verstöße gegen das Einwanderungsgesetz festgenommen. Aufgebrachte Demonstrierende verfolgten daraufhin einen Fahrzeug-Konvoi der Einwanderungsbehörde und bewarfen die Beamten mit Eiern. Die Polizei trieb die Menge mit Blendgranaten auseinander.
Nach Angaben der US-Staatsanwaltschaft lag ein Durchsuchungsbefehl vor, der sich auf ArbeiterInnen mit gefälschten Dokumenten bezog. Als sich die Nachricht von den Festnahmen durch die Einwanderungsbehörde verbreitete, kam es zu Angst, Verwirrung und Empörung. Danach versammelten sich Medienberichten zufolge in der Innenstadt Hunderte DemonstrantInnen und forderten die sofortige Freilassung der Festgenommenen. Die weitgehend friedliche Kundgebung wurde von der Polizei aufgelöst, wobei es ebenfalls teils gewaltsame Auseinandersetzungen gab.
Später in der Nacht versammelte sich eine größere Menschenmenge vor dem Bundesgebäude und forderte ein Ende der Razzien gegen EinwandererInnen. Einige verwüsteten Gebäude und lieferten sich gewalttätige Auseinandersetzungen mit den Beamten.
Die landesweiten Razzien sind Folge der von US-Präsident Donald Trump mit seinem Amtsantritt im Januar angeordneten Migrationspolitik, die eine Massenabschiebung von EinwandererInnen zum Ziel hat.Berichte über die Durchsetzung von Einwanderungsbestimmungen nahe eines Baumarktes in Paramount – einer Gemeinde im Süden von Los Angeles County – zogen am 7. Juni Hunderte weitere Demonstranten an. Das FBI veröffentlichte ein Video, das zeigt, wie jemand Steine auf Autos wirft. Das Department of Homeland Security bestätigte, dass es in der vergangenen Woche bei Einwanderungsaktionen 118 Personen festgenommen hat, darunter auch solche, die wegen Drogen und Körperverletzung festgenommen wurden.
Rufe erklingen: “Shame” auf dem Walk of Fame
Auch in der Innenstadt von LA gingen die Proteste bis in die Nacht hinein weiter.
Der 8. Juni stellt eine weitere Eskalationsstufe dar, als US-Präsident Donald Trump die Entsendung von 2.000 Nationalgardisten angeordnet hat. Karoline Leavitt, die Sprecherin des Präsidenten erklärte, mit deren Einsatz, begegne die Regierung in Washington „der Gesetzlosigkeit, deren Ausbreitung durch die inkompetente demokratische Führung in Los Angeles und im Bundesstaat Kalifornien zugelassen wurde“.
In den USA haben im Normalfall die Bundesstaaten die Kontrolle über die National Guard. Ein Einsatz der Garde auf Befehl des Präsidenten markiert eine massive Eskalation. Die Nationalgarde ist eine militärische Reserveeinheit und Teil der US-Streitkräfte. Jeder Bundesstaat hat seine eigene Nationalgarde, die bei Waldbränden, Wirbelstürmen, Überflutungen oder Unruhen im Inneren eingesetzt werden kann, welche durch zivile Sicherheitskräfte nicht bewältigt werden können. Die Nationalgarde steht dann unter dem Befehl des jeweiligen Gouverneurs. Kommt es zum Krieg oder zu nationalen Notfällen, kann der US-Präsident das Kommando übernehmen.
Für eine weitere Eskalation sorgte US Secretary of Defence Pete Hegseth, der auf der Social Media-Plattform X ankündigte: „Sollte die Gewalt anhalten, werden auch aktive Marines in Camp Pendleton mobilisiert - sie sind in höchster Alarmbereitschaft".
Die von Präsident Trump einberufene Nationalgarde traf in Los Angeles ein, wo sie zum Schutz von Bundesgebäuden eingesetzt wird. Die örtlichen Strafverfolgungsbehörden verbleiben auf den Straßen der Stadt, während die Proteste weitergehen, auch vor einem Bundesgefängnis, wo Mitglieder der Garde positioniert wurden.
Demonstranten blockierten einen Teil des Freeway 101 in der Nähe des Bundesgebäudes. Menschen setzten selbstfahrende Taxis in Brand.
Los Angeles‘ Bürgermeisterin Karen Bass schloss sich den Worten von Gouverneur Gavin Newsom an und äußerte ihre Unterstützung für die Einwanderergemeinschaften, verurteilte jedoch die Zerstörungen. Newsom teilte auf der Plattform X mit, er habe bei einem Bundesgericht einen Eilantrag gestellt, um Präsident Trumps Einsatz von Marines und Truppen der Nationalgarde in Los Angeles zu verhindern. Er schrieb: „Trump wendet das US-Militär gegen amerikanische Bürger an. Die Gerichte müssen diese illegalen Aktionen sofort blockieren.“
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Speziell die Entsendung von US-Marines kann als erneute Eskalationsstufe betrachtet werden, lässt sich dadurch doch ein Verstoß gegen den Posse Comitatus Act ableiten. Bei diesem handelt es sich um ein US-Bundesgesetz, welches 1878 erlassen wurde und dem amerikanischen Präsidenten grundsätzlich verbietet, das Militär als eine inländische Polizeitruppe einzusetzen. Ursprünglich für die US Army erlassen, sind dem Posse Comitatus Act seit Dezember 2021 alle amerikanischen Teilstreitkräfte (US Navy, US Air Force, US Marine Corps, US Space Force) unterstellt. Vom Gesetz ausgenommen sind die Coast Guard und die Joint Interagency Task Force, die mit der Unterbindung des Drogenhandels befasst sind.
Der Einsatz militärischer Eliteeinheiten war für Donald Trump bereits in dessen erster Amtszeit ein potenzieller Modus operandi im Angesicht landesweiter Proteste. Im Mai und Juni 2020 kam es nach dem Tod von George Floyd zu Demonstrationen gegen Polizeigewalt und Rassismus. In diesem Zusammenhang forderte Trump eine harte Linie gegen die Demonstrierenden und sprach mehrfach davon, „law and order“ wiederherzustellen. In einer Pressekonferenz am 1. Juni 2020 verkündete er: „If a city or state refuses to take the actions that are necessary ... then I'll deploy the United States military and quickly solve the problem for them.“ Die 82. Airborne Division, eine schnelle Eingreiftruppe der US-Armee, wurde daraufhin vorübergehend in Alarmbereitschaft versetzt und auch nahe Washington, D.C. stationiert, allerdings nicht aktiv eingesetzt.
Bereits der erste Satz im Treueeid eines jeden Angehörigen der US-Streitkräfte beinhaltet die Verteidigung der „Constitution of the United States against all enemies, foreign and domestic.“ Nach diesem haben SoldatInnen also die Pflicht, die Verfassung auch gegen inländische Bedrohungen zu verteidigen, was durch den Posse Comitatus Act jedoch streng reglementiert ist. Um US-Kampftruppen auf amerikanischen Boden einzusetzen, bedarf es des sogenannten „Insurrection Act“. Dieses Bundesgesetz aus dem Jahr 1807 verleiht dem US-Präsident die Vollmacht über Heeres- und Marinetruppen, sowie die Nationalgarde, um diese innerhalb der Vereinigten Staaten zur Bekämpfung von Aufständen einzusetzen. Anzuwenden sei es
„in all cases of insurrection, or obstruction to the laws, either of the United States, or of any individual state or territory, where it is lawful for the President of the United States to call forth the militia for the purpose of suppressing such insurrection, or of causing the laws to be duly executed, it shall be lawful for him (…)“.
Das Gesetz sollte die Vollmachten des Präsidenten beim Einsatz von Truppen zu Gunsten der lokalen Behörden und GesetzgeberInnen begrenzen und wurde vom 9. Kongress beschlossen. Dabei geht es um die Antwort auf die Bitte der Regierung eines Bundesstaates zur Niederschlagung einer Revolte gegen diese Regierung. Der Insurrection Act wird als ausdrückliche Ausnahme des Posse Comitatus Act aufgeführt, kam aber speziell in den vergangenen siebzig Jahren mehrmals zur Anwendung. 1957 beispielsweise sicherte die 101th Airborne den Zugang von afroamerikanischen Schülern zur Central High School in Little Rock, AR. Auch während der Unruhen in Detroit 1967 und Los Angeles 1992 wurden Fallschirmjäger und Marines eingesetzt, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Beide Entsendungen erfolgten auf direkte Bitte des jeweiligen Gouverneurs. Nachdem Hurrikan „Katrina“ 2005 New Orleans verwüstet hatte, leisteten die Streitkräfte begrenzte militärische Unterstützung bei Evakuierungen und Katastrophenschutz.
Aktuell hat Präsident Trump den Insurrection Act noch nicht ausgerufen, diese Drohung bleibt jedoch bestehen. Die Marines und Nationalgardisten vor Ort agieren momentan unter dem sogenannten „Title 10“, welcher Unterstützung der Sicherheitskräfte gestattet, jedoch keinen direkten Militäreinsatz gegen Demonstranten.
Die US-Regierung bestätigte, dass 1.700 Nationalgardisten im Gebiet von Los Angeles eingesetzt wurden und 700 US-Marines zur Unterstützung der Bemühungen um den Schutz von Bundesbeamten und Eigentum aktiviert wurden. Der Bundesstaat Kalifornien wiederum verklagte die Trump-Administration wegen der ihrer Ansicht nach illegalen Föderalisierung der kalifornischen Nationalgarde.
Die lebhaften, meist friedlichen Proteste gingen weiter, ebenso wie der Vandalismus. Nachts kam es in LA zu Plünderungen.
Am 10. Juni verkündete Karoline Leavitt: „Seit dem 6. Juni wurden 330 illegale Einwanderer im Rahmen der Unruhen in Los Angeles verhaftet. 113 dieser illegalen Einwanderer hatten Vorstrafen." Die Trump-Administration hat in den ersten Monaten ihrer Amtszeit eine harte Haltung gegenüber der Einwanderung eingenommen. Nach Angaben eines Sprechers des Weißen Hauses hat die ICE unter Präsident Trump in diesem Jahr mehr als 100.000 Personen verhaftet. „Es wurden 157 Personen wegen Körperverletzung und Behinderung verhaftet“, sagte Leavitt während des Briefings.
Brothers in Chains
Am 13. Juni wurde die Entsendung der Nationalgarde durch Präsident Trump von einem US-Gericht als „illegal“ eingestuft worden. US-Richter Charles Breyer wies den Präsidenten an, die Kontrolle über die kalifornische Nationalgarde „unverzüglich“ an den Bundesstaat zurückzugeben. Breyer setzt die Anordnung bis zum 13. Juni aus und das Weiße Haus legte unmittelbar danach Berufung gegen das Urteil ein – womöglich muss der Supreme Court entscheiden. Gouverneur Newsom kommentierte das Urteil auf X folgendermaßen: „Das Gericht hat gerade bestätigt, was wir alle wissen: Das Militär gehört auf das Schlachtfeld, nicht auf unsere städtischen Straßen.“
Am Tag darauf wurde ein Veteran der US-Armee angolanischer und portugiesischer Abstammung von Marines in LA verhaftet, als sich dieser auf dem Weg zu einem Büro des Ministeriums für Veteranenangelegenheiten befunden und dabei eine Absperrung überquert hatte. Die Marineinfanteristen fesselten den Veteranen mit Kabelbindern und übergaben ihn einem Agenten der Homeland Security. Der Verhaftete erklärte: „Die Marines haben nur ihren Job gemacht.“
Mit dieser Erfahrung befand sich der Inhaftierte in prominenter Gesellschaft: Der kalifornische Senator Alex Padilla unterbrach die erste persönliche Pressekonferenz des Department of Homeland Security zu den Festnahmen von EinwandererInnen in LA. Er wurde aus dem Raum gezerrt, in Handschellen auf den Boden gelegt, jedoch nicht verhaftet. Das DHS erklärte, dass sie nach EinwandererInnen ohne Papiere suchen, die Straftaten begangen haben, und Los Angeles in nächster Zeit nicht verlassen werden.
Laut einer neuen eintägigen Umfrage der Washington Post und der Schar School der George Mason University ist die amerikanische Öffentlichkeit gleichmäßig über die Entscheidung von Präsident Donald Trump, die Nationalgarde und die Marines zu den Protesten in Los Angeles zu schicken, gespalten. Insgesamt sind 44 % gegen Trumps Entscheidung, die Streitkräfte zu entsenden, 41 % befürworten dies und 15 % sind sich nicht sicher, wie sie dazu stehen. Die Umfrage zeigt auch eine fast gleichmäßige Verteilung der Meinungen über die Proteste selbst, wobei 39 % die Proteste in LA „gegen die Durchsetzung der Einwanderungsgesetze durch die Bundesregierung“ unterstützen und 40 % diese Proteste ablehnen, wobei 21 % unsicher sind. Die AmerikanerInnen sind auch geteilter Meinung darüber, ob diese Proteste überwiegend friedlich (35 %) oder überwiegend gewalttätig (37 %) waren, wobei ein noch größerer Anteil in dieser Frage unsicher ist.
Die Proteste und die Reaktion der Trump-Administration zeigt besorgniserregend, wie gespalten die US-Bevölkerung mittlerweile ist und welche Auswirkungen sich daraus mittel- und langfristig ergeben. Hollywoods Filmstudios haben potenzielle Schreckensszenarien in der Vergangenheit jedoch bereits erdacht: In Edward Zwick’s The Siege von 1998 wird das Kriegsrecht nach einem islamistischen Anschlag in New York (deutlich vor 9/11) ausgerufen und zeigt die brutale Anwendung desselben durch den kommandierenden General. 2024 inszenierte Alex Garland mit Civil War das Portrait einer USA, die sich erneut im Bürgerkrieg befinden, dem am Ende ein autokratischer Präsident zum Opfer fällt.





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