Georgien: Im Namen der Transparenz: Wie ein Gesetz Georgiens Demokratie untergräbt
- anamariakoridze
- 14. Juni
- 4 Min. Lesezeit

Das sogenannte FARA-Gesetz ist seit über zwei Wochen Teil der georgischen Gesetzgebung. Der Gesetzgebungsprozess wird schon seit mehr als einem Jahr von massiven Protesten und gezielten Desinformationskampagnen begleitet. Trotz des anhaltenden Drucks aus der pro-europäischen Bevölkerung und von seiten westlicher PolitikerInnen hat die Regierungspartei „Georgian Dream“ (GD) das Gesetz letztlich verabschiedet - ungeachtet der Warnungen unabhängiger Medien und zivilgesellschaftlicher Organisationen. Diese befürchten, dass GD das Gesetz nutzen wird, um eine politische Hexenjagd gegen Oppositionelle und NGOs zu führen.
Die Verabschiedung des Gesetzes markiert den Höhepunkt einer Reihe von Konfrontationen, Festnahmen und politischen Krisen, die sich seit 2023 vor allem in Tiflis abgespielt haben. Damals hatte GD erstmals das Gesetz zur Transparenz ausländischer Einflussnahme (Foreign Agent) eingebracht, musste es jedoch nach heftigen Massenprotesten zurückziehen. Obwohl die Partei anschließend erklärt hatte, keine ähnlichen Schritte mehr zu unternehmen, brachte sie im April 2024 erneut ein nahezu identisches Gesetz ins Parlament ein. Daraufhin unterzeichneten über 400 in Georgien aktive NGOs ein gemeinsames Statement, in dem sie vor den Gefahren für unabhängige Medien und den pro-europäischen Kurs des Landes warnten.
Repression und Gewalt gegen Demonstrierende
Diesmal setzte GD das Gesetz vollständig durch, wobei Verschwörungserzählungen über eine angebliche „globale Kriegspartei“ oder einen „Deep State“ als Grundlage dienten. Die Abstimmung im Parlament wurde von teils gewalttätigen Auseinandersetzungen auf der Rustaweli-Allee in Tiflis begleitet. Dabei wurden rund hundert Menschen verletzt. Mehrere Personen berichteten nach ihrer Festnahme über gezielte physische und verbale Übergriffe durch Spezialeinheiten der Polizei, die in der Bevölkerung als „Todeskommandos“ bekannt sind.
Die meisten Festgenommenen kamen zwar gegen Kaution frei oder erhielten Geldstrafen, doch gegen etwa 50 Personen laufen derzeit noch Verfahren, in denen Haftstrafen von bis zu sieben Jahren drohen. Die Vorwürfe: angebliche Angriffe auf Polizeikräfte im Einsatz.
Dass GD längst begonnen hat, gegen unabhängige Medien vorzugehen, zeigt der Fall der renommierten Journalistin Mzia Amaglobeli von der unabhängigen Medienplattformen Batumelebi und Netgazeti. Sie wurde festgenommen, da sie den Polizeichef von Batumi, Irakli Dgebuadze, geohrfeigt haben soll. Laut Zeug*innen hatte Dgebuadze sie zuvor mit sexualisierten und expliziten Drohungen eingeschüchtert. Amaglobeli gilt inzwischen als prisoner of conscience und steht symbolisch für die gezielte Gewalt gegen unabhängige Stimmen in Georgien. Ihre Inhaftierung löste auch international Besorgnis aus: Amnesty International forderte ihre sofortige Freilassung. Zudem starteten engagierte Einzelpersonen, darunter auch MitgliederInnen des Europäischen Parlaments, eine Petition, um auf ihren Fall aufmerksam zu machen und Solidarität mit unabhängiger Presse in Georgien zu zeigen.
Ein Name als Ablenkungsmanöver
Das am 1. Juni in Kraft getretene Gesetz ist eine umbenannte Version des ursprünglichen GD-Gesetzesentwurfs - ein PR-Manöver, wie viele BeobachterInnen einordnen. GD taufte das Gesetz absichtlich „FARA“ und übernahm weite Teile des Wortlauts aus dem gleichnamigen US-Gesetz von 1938, dem „Foreign Agents Registration Act“. Damit wollte GD offenbar der Kritik entgegenwirken, das Gesetz sei ein „russisches Gesetz“ – ein Vorwurf, der in der georgischen Öffentlichkeit, besonders nach dem Krieg 2008 und angesichts der anhaltenden Okkupation Abchasiens und Südossetiens durch Russland, extrem negativ konnotiert ist.
Doch trotz des neuen Namens unterscheidet sich das georgische FARA-Gesetz grundlegend vom amerikanischen Vorbild: Es richtet sich nicht nur gegen Organisationen, sondern auch gegen Einzelpersonen, ohne klarzustellen, welche Gruppen genau gemeint sind. Betroffen sein könnten beispielsweise Mitarbeitende betroffener Organisationen, Personen mit Kenntnissen über deren Aktivitäten oder sogar im Ausland tätige FreelancerInnen. Das US-amerikanische FARA wurde ursprünglich eingeführt, um gegen die Einflussnahme des nationalsozialistischen Deutschlands und später der Sowjetunion vorzugehen.
Auffällig ist auch der Kurswechsel von Premierminister Irakli Kobachidse: Noch 2023 behauptete er, das US-Gesetz sei wesentlich strenger als das georgische. Mittlerweile argumentiert er jedoch, das amerikanische Modell sei der beste Weg, um die Krise zu bewältigen und ausländischen Einfluss zu kontrollieren.
Desinformation als politische Strategie
Unmittelbar nach den Protesten und der Wiederaufnahme des Gesetzgebungsverfahrens intensivierte sich der Informationskrieg. Staatsnahe Medien griffen die OrganisatorInnen der Proteste öffentlich an, warfen ihnen eine Zusammenarbeit mit ausländischen Mächten vor und warnten vor einem „Maidan-Szenario“. Auch POSTV, ein regierungsnaher Sender, verbreitet regelmäßig antiwestliche Narrative und Verschwörungstheorien. Seit der Niederlage der Demokratischen Partei in den USA und dem Koalitionsbruch in Deutschland macht POSTV zunehmend die Regierung unter Joe Biden und das Kabinett unter Olaf Scholz für einen angeblichen Umsturzversuch gegen GD verantwortlich.
Wie die georgische NGO ISFED (International Society for Fair Elections and Democracy) berichtet, wurde die erneute Einführung des Gesetzes im April 2024 von einer koordinierten Kampagne begleitet. Dabei kamen sowohl staatsnahe Nachrichtenportale als auch Social-Media-Kanäle zum Einsatz. Zusätzlich tauchten bezahlte Werbeanzeigen auf Facebook und Instagram auf, die sich gezielt an georgischsprachige NutzerInnen richteten. Unter dem Deckmantel scheinbar harmloser Informationsgrafiken verbreiteten sie irreführende Inhalte zum Gesetz und verschleierten dessen tatsächliche rechtliche Tragweite.
Während westliche PolitikerInnen und internationale Organisationen GDs Umgang mit Gesetzgebung und Protesten scharf kritisierten, warfen russische RegierungsvertreterInnen und staatsnahe AkteurInnen der EU und den USA vor, einen Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung Georgiens zu planen, eine Erzählung, die exakt mit dem offiziellen Narrativ von GD übereinstimmt.
Wie genau das FARA-Gesetz künftig gegen NGOs, zivilgesellschaftliche Organisationen, unabhängige Medien oder Einzelpersonen angewendet wird, ist bislang unklar. Seit dem 1. Juni ist das Gesetz offiziell in Kraft, zu tatsächlichen Verurteilungen ist es bislang noch nicht gekommen. Doch die rechtlich vage und weit auslegbare Formulierung macht das Gesetz so gefährlich: Es ist weniger eine Frage des Ob, sondern des Wann. Diese juristische Unschärfe gibt der Regierung ein mächtiges Instrument an die Hand – Engagement, Kritik oder journalistische Arbeit können jederzeit unter Verdacht geraten, ganz gleich, ob tatsächlich „ausländische Einflussnahme“ vorliegt oder nicht.
Dass es sich dabei nicht um ein hypothetisches Szenario handelt, zeigt das jüngste Urteil gegen den 21-jährigen Mate Devidze. Er wurde zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt – trotz widersprüchlicher Beweislage und Aussagen von ZeugOnnen, wegen angeblicher Gewalt gegen Polizeikräfte. Devidze verließ den Gerichtssaal, ohne das Urteil anzuhören. Seine Worte beim Hinausgehen waren: „Im Dunkeln nach Licht zu suchen.“ Ein Satz, der für viele in Georgien zur bitteren Realität geworden ist.
Gestern erreichte die Protestbewegung ihren 200. Tag – ein eindrucksvolles Zeichen für die Widerstandskraft der georgischen Zivilgesellschaft. Die Hoffnung vieler richtet sich nun nach außen: dass die EU Georgien nicht im Stich lässt und die Unterstützung für unabhängige AkteurInnen nicht aus Sorge vor rechtlichen Risiken oder Repressionen eingestellt wird, sondern dass sie an der Seite jener bleibt, die sich vor Ort tagtäglich für Demokratie, Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit einsetzen.





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