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Geopolitische Frontlinien: Neue Bruchstellen zwischen Moskau und Baku

Aktualisiert: vor 5 Tagen

Bildquelle:www.lpb.de
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In den vergangenen zwei Wochen hat eine Reihe von Ereignissen zu erheblichen Spannungen zwischen Russland und Aserbaidschan geführt. Die Lage eskalierte derart, dass beide Staaten diskriminierende Maßnahmen entlang ethnischer Zugehörigkeiten einleiteten. Den Anfang machte eine Polizeirazzia im russischen Jekaterinburg am 27. Juni, bei der mehrere Personen festgenommen wurden. Zwei von ihnen starben unter bislang ungeklärten Umständen. Alle Betroffenen sind ethnische Aserbaidschaner und werden offiziell mit einem Mordfall aus dem Jahr 2001 in Verbindung gebracht. Die Umstände der Festnahmen sowie der Todesfälle werfen allerdings erhebliche Fragen auf, sowohl in der aserbaidschanischen Diaspora in Russland als auch in der politischen Führung in Baku.

Daraufhin beschuldigten die aserbaidschanischen Ermittlungsbehörden die russischen Sicherheitsdienste der Folter, des Mordes und einer ethnisch motivierten Kampagne gegen AserbaidschanerInnen. Kurz darauf durchsuchten die Behörden in Baku das Büro der russischen Nachrichtenagentur Sputnik und nahmen zahlreiche russischstämmige Mitarbeiter sowie IT-Spezialisten fest. Viele von ihnen wiesen Spuren körperlicher Gewalt auf. Baku rechtfertigte das Vorgehen mit angeblichen Verbindungen der Festgenommenen zu internationalem Drogenhandel und Cyberkriminalität.


Vorgeschichte: Ein vergessener Zwischenfall und die Rolle der Oligarchen


Die angespannten Beziehungen zwischen Russland und Aserbaidschan bestehen jedoch nicht erst seit diesem Vorfall. Ein entscheidender Wendepunkt könnte der Abschuss eines Passagierflugzeugs der Azerbaijan Airlines durch die russische Luftabwehr am 25. Dezember 2024 im russischen Luftraum sein, bei dem 38 Menschen starben. Präsident Ilham Aliyev sagte daraufhin seine Teilnahme am GUS-Gipfel in Sankt Petersburg ab und berief eine Krisensitzung ein. Aus inoffiziellen diplomatischen Kreisen war zu vernehmen, dass Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow sich persönlich entschuldigen und finanzielle Unterstützung anbieten wollte. Drei Tage später entschuldigte sich Präsident Putin zwar öffentlich für den Vorfall, wies jedoch die Verantwortung der russischen Seite zurück und gab ukrainische Drohnen als angebliche Angreifer der tschetschenischen Hauptstadt Grosny an.

In der Russischen Föderation leben rund drei Millionen ethnische AserbaidschanerInnen, mehr als ein Drittel von ihnen sind ArbeitsmigrantInnen. Viele einflussreiche aserbaidschanischstämmige Oligarchen sind eng mit den Regierungen in Moskau und Baku verflochten und spielen eine Schlüsselrolle in der russischen Wirtschaft. Angesichts zunehmender Spannungen steht nun sogar die Ausweisung aserbaidschanischer ArbeitsmigrantInnen im Raum - ein Schritt, der die russische Wirtschaft empfindlich treffen würde. Auch auf der Ebene der Elite spitzt sich die Lage zu: Am 3. Juli wurde Vagif Suleymanov, eine “legendäre” Figur der postsowjetischen Unterwelt, von russischen Sicherheitskräften in einer öffentlichkeitswirksamen Aktion festgenommen. Warum dieser Schritt gerade jetzt erfolgte, bleibt unklar. Suleymanov war über Jahre hinweg durch seine Kontakte zu kremlnahen aserbaidschanischen Oligarchen wie God Nisanov wirtschaftlich aktiv. Nisanov wiederum ist eng mit dem Leiter des russischen Auslandsgeheimdienstes (SVR), Sergej Naryschkin, sowie weiteren einflussreichen VertreterInnen der russischen Machtelite verbunden. Suleymanovs Fall verdeutlicht, dass selbst hochrangige Akteure aserbaidschanischer Herkunft im Kontext der aktuellen politischen Auseinandersetzungen in Ungunst fallen können. Diese Eskalation zwischen zwei autoritär geprägten Lagern dürfte langfristige Auswirkungen auf die politischen und wirtschaftlichen Machtverhältnisse in beiden Ländern haben (vgl. In Moscow’s Shadows, Folge 207).


Neue Allianzen, alte Taktiken


Ein weiteres bemerkenswertes Detail stellt ein Telefongespräch dar, welches Präsident Aliyev mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj führte. Dabei ging es unter anderem um die zunehmenden Spannungen und den Vorwurf, Russland verlege verstärkt Truppen nach Armenien. Die ukrainische Seite wertet dies als klares Signal gegen Aserbaidschan. Dmitri Peskow, der Pressesprecher Putins, reagierte umgehend und warf der Ukraine vor, die bilateralen Beziehungen zwischen Russland und Aserbaidschan gezielt sabotieren zu wollen.

Unterdessen griff Russland auf ein altbekanntes Instrument wirtschaftlicher Einflussnahme zurück: In Pfirsichen und Nektarinen aus Aserbaidschan wurde plötzlich ein „landwirtschaftlicher Schädling“ entdeckt, was als Hinweis darauf gewertet werden kann, dass ein Importverbot für aserbaidschanische Produkte bevorstehen könnte. Derartige Maßnahmen sind Teil des geopolitischen Arsenals des Kremls und wurden bereits gegen Länder wie Georgien, Armenien und Belarus eingesetzt - zuletzt im sogenannten „Milchkrieg“ im Jahr 2008.


Die jüngsten Entwicklungen zwischen Russland und Aserbaidschan zeigen, wie schnell geopolitische Spannungen entlang ethnischer, wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Linien eskalieren können. Was zunächst wie ein lokaler Polizeieinsatz begann, hat sich innerhalb weniger Tage zu einer diplomatischen Krise ausgewachsen, die nicht nur die bilateralen Beziehungen belastet, sondern auch die Stabilität im gesamten postsowjetischen Raum gefährdet. Besonders besorgniserregend ist dabei die zunehmende Vermischung von realer Machtpolitik mit gezielter Desinformation. In autoritär geführten Staaten wie Russland und Aserbaidschan werden Narrative oft strategisch eingesetzt, um Schuldzuweisungen zu steuern, innenpolitische Legitimität zu sichern oder die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Auch die Schuldzuweisungen im Zusammenhang mit ukrainischer Einflussnahme folgen einem bekannten propagandistischen Ablenkungsmuster.

Solche Formen der Informationslenkung können nicht nur internationale Konflikte verschärfen, sondern auch im Inneren Spaltungen vertiefen, etwa durch die gezielte Ethnisierung politischer Konflikte. Sie befeuern Ressentiments und rechtfertigen Gewalt. 

 
 
 

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