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„Absurdem Maß an Männlichkeit“ - wie RUS Kirchen gezielt junge US-Amerikaner ansprechen

Aktualisiert: 17. Nov.

Screenshot: youtube.com
Screenshot: youtube.com

“So, Jamie, what do you think being a man feels like?”

Diese durchaus provokante Frage richtet die Jugendpsychiaterin Briony Ariston an den 13-jährigen Jamie Miller in der britischen Netflix – Miniserie Adolescence. Jamie wird des Mordes an seiner Mitschülerin Katie beschuldigt und wartet in einer Jugendstrafanstalt auf seine Gerichtsverhandlung.

Das Motiv: Katie hatte Jamie als „Incel (involuntary celibate)“ bezeichnet und deshalb gemobbt. Die „Incel – Kultur“ rund um den chauvinistischen Influencer Andrew Tate (der übrigens in Adolescence als Teil des Problems benannt wird), erlangte durch mehrere Tötungsdelikte traurige Berühmtheit. Das krude Video-Manifest von Elliot Rodger, der 2014 sechs Menschen in Isla Vista, CA tötete, ist noch heute auf YouTube zu finden und versinnbildlicht ein zutiefst misogynes Frauen- bzw. Menschenbild.


Der frühere Dachdecker McPherson wuchs als Protestant auf, gehört heute aber der Russian Orthodox Church Outside Russia (ROCOR) in Georgetown, TX an und dient in dieser als Priester. Die ROCOR fungiert als Ableger der Moskauer Mutterkirche und hat ihr Hauptquartier in New York. Die Kirche, die mittlerweile über ein globales Netzwerk verfügt, expandiert inzwischen über die gesamten USA – und haben Erfolg damit, denn viele AmerikanerInnen konvertieren.

Father McPherson, der sich zusammen mit seiner Frau vor zwanzig Jahren der ROCOR angeschlossen hat, hat seinen Anteil am Zuwachs der Kirche, denn in den vergangenen sechs Monaten hat er 75 neue Gläubige auf die Taufe vorbereitet. Eine Frage, die McPherson laut eigener Aussage häufig gestellt bekommt und die er sich vermutlich auch mit Tate oder diversen Pick-up-Artists teilt, lautet: „Wie kann ich meine Männlichkeit auf absurde Ebenen steigern?“ Vermutlich nicht die Frage, die man seinem Pfarrer nach dem Sonntagsgottesdienst stellt.

Von diesem unterscheidet sich der ROCOR-Vertreter aus Georgetown schon allein in seiner optischen Erscheinung: Moses McPherson, Vater von fünf Kindern, besitzt die Physis eines Strongman und erinnert optisch stark an Hafþór Björnsson, der in Game of Thrones Gregor Glegane verkörperte. Dazu passend veröffentlicht McPherson Videos auf Instagram, die ihn beim Gewichtheben zeigen, während im Hintergrund Heavy Metal – Musik zu hören ist. Gleichzeitig referiert er in seinen YouTube-Beiträgen bspw. darüber, warum Ehepaare keine Freunde sein sollten.


In Adolescence möchte Psychiaterin Ariston von Jamie erfahren, welche Attribute oder Handlungen dieser mit dem Begriff „maskulin“ assoziiert. Wo dieser eher ausweichend reagiert, kann im Gegenzug McPherson beschreiben, welche Tätigkeiten er dezidiert als „zu feminin“ ansieht: das Tragen enger Jeans, die Beine übereinanderschlagen, das Benutzen eines Bügeleisens und der Verzehr von Suppe.

Zur Schau gestellte Körperlichkeit ist natürlich unumgänglich innerhalb der sog. „Manosphere“, eines lose verbundenen Netzwerks aus Online-Communities, in denen hegemoniale, oft hypermaskuline Geschlechterbilder reproduziert und propagiert werden. Diese Inszenierung körperlicher Stärke dient nicht nur der Selbstvergewisserung innerhalb der Community, sondern auch der performativen Reproduktion traditioneller Männlichkeitsideale (vgl. Connell 1995: Masculinities). Sie fungiert als symbolisches Kapital im Sinne Bourdieus, wobei der trainierte, disziplinierte Körper als Ausdruck von Kontrolle, Macht und Dominanz gelesen wird.

Ein prominentes Beispiel dieser performativen Männlichkeitsinszenierung ist der russische Präsident Wladimir Putin, der sich wiederholt bewusst oberkörperfrei beim Reiten, Jagen oder Fischen inszenieren ließ. Diese Bildpolitik zielt darauf ab, ein Bild viriler Stärke und unerschütterlicher Führungsqualität zu erzeugen, das sowohl innenpolitisch als auch international wirksam sein soll. Solche Darstellungen sind Teil einer "visuellen Rhetorik der Männlichkeit", in der körperliche Potenz mit politischer Autorität verknüpft wird (vgl. Gill 2007: Postfeminist Media Culture).

Die Betonung des Körpers in diesen Kontexten steht im Zusammenhang mit dem, was Susan Jeffords als „the remasculinization of America“ bezeichnete – ein Phänomen, das sich nicht nur in der politischen Ikonografie, sondern auch in populären Medien zeigt, in denen Männlichkeit über physische Dominanz, Gewaltbereitschaft und emotionale Kontrolle definiert wird. Putins Bildpolitik reiht sich damit in eine längere Tradition ein, in der Körperlichkeit zur politischen Kommunikation männlicher Stärke genutzt wird – vergleichbar mit der Heroisierung militärischer Männlichkeitsbilder oder der Ästhetik des „Action Hero“ im westlichen Kino.


Wo befinden sich jedoch die Anknüpfungspunkte zwischen der Körperlichkeit eines Staatschefs und der Spiritualität von Father McPherson? Ganz neu sind diese nicht und die politische Inszenierung lässt sich nicht isoliert als rein körperliche oder ästhetische Praxis verstehen, sondern ist häufig in ein größeres ideologisches und kulturelles Bedeutungsgefüge eingebettet, das auch religiöse oder spirituelle Dimensionen umfasst. Der männliche Körper fungiert dabei nicht nur als Zeichen physischer Stärke und Selbstdisziplin, sondern wird zunehmend auch sakralisiert – das heißt, mit religiöser oder metaphysischer Bedeutung aufgeladen. In solchen Kontexten wird Männlichkeit nicht allein als biologisches oder soziales Konstrukt verstanden, sondern als Ausdruck einer göttlich geordneten Welt, in der der "starke Mann" eine zentrale Rolle als moralischer Führer, Bewahrer der Ordnung und spirituelles Vorbild einnimmt.

Diese Tendenz zeigt sich etwa in der Nähe zwischen Putins Inszenierung als viriler Staatsmann und seiner demonstrativen Verbindung zur russisch-orthodoxen Kirche, die seine politische Autorität teilweise als gottgegeben interpretiert. Die Bildpolitik, die ihn oberkörperfrei in der Wildnis zeigt, ergänzt sich hier mit religiösen Ritualen, Kirchenbesuchen und symbolischen Handlungen, durch die der Körper nicht nur als natürlich stark, sondern als spirituell legitimiert erscheint. Ähnlich lassen sich auch in anderen religiös-konservativen Kontexten – etwa im evangelikalen Christentum, im orthodoxen Judentum oder im hindu-nationalistischen Spektrum – Männlichkeitsideale beobachten, die körperliche Disziplin, Führungsstärke und emotionale Kontrolle mit religiöser Tugendhaftigkeit verknüpfen. Die Vorstellung vom „gottesfürchtigen Krieger“ oder „geistigen Patriarchen“ knüpft hier an eine lange Tradition an, in der Askese, Selbstbeherrschung und physische Stärke als Zeichen spiritueller Überlegenheit gelten.


In verwandten Online-Subkulturen wie der Manosphere, insbesondere in Bewegungen wie „NoFap“ oder „Red Pill“, lassen sich ähnliche Muster erkennen. Hier wird die Transformation des Mannes – durch Enthaltsamkeit, körperliches Training, „Selbstoptimierung“ und soziale Dominanz – häufig mit einer quasi-religiösen Rhetorik aufgeladen. Die Rede ist nicht selten von Reinigung, Erweckung oder Rückkehr zur „wahren Natur des Mannes“, was an spirituelle Erweckungsbewegungen erinnert. Der männliche Körper wird dabei zum Träger einer metaphysischen Mission stilisiert, als Instrument der Rückkehr zu einer als ursprünglich imaginierten Ordnung, in der Männlichkeit nicht nur körperlich, sondern auch spirituell überlegen erscheint.

Diese Verknüpfung von physischer Männlichkeit mit spirituellen und religiösen Narrativen spiegelt sich auch im Rückgriff auf mythische und religiöse Figuren wider: Wikinger, Spartaner, Kreuzritter oder orthodoxe Heilige werden als Archetypen einer „heiligen“ Männlichkeit romantisiert und ideologisch aufgeladen. In diesen Bildern verschmelzen Körperlichkeit, Kampfbereitschaft, Glaube und politische Macht zu einer Einheit, die insbesondere in autoritären oder reaktionären Diskursen eine zentrale Rolle spielt. So wird die körperlich inszenierte Männlichkeit zum Vehikel einer tieferliegenden spirituellen Ordnung, die sich gegen vermeintlich dekadente, liberale oder feminisierte Gesellschaftsentwürfe abgrenzt und eine Rückkehr zu traditionellen, oft religiös codierten Männlichkeitsidealen propagiert.

Verstehen sich also die ROCOR-Neukonvertierten um Father McPherson als nordische Eroberer oder griechische Kriegerkaste? Das vermutlich (und hoffentlich) nicht. Was diese primär 20- 30jährigen aber eint, ist offensichtlich eine Sinnsuche, einen spirituellen „Way of lIfe“, der von der protestantischen oder römisch-katholischen Kirche nicht mehr befriedigt werden konnte. Ihr Wunsch, alleiniger Versorger der Familie zu sein, während die Ehefrau Kindererziehung und Haushalt verantwortet, wird in ihren Augen zu Unrecht als „toxisch“ apostrophiert. Gerade die Kindererziehung sollte zuhause im „Home Schooling“ erfolgen und nicht von staatlichen Schulen übernommen werden. Das, so Father John Whiteford, ROCOR-Hohepriester in Spring, TX, “gewährleiste die religiöse Ausbildung der Kinder und beschütze diese.“


Father McPherson sieht Emotionalität als „unmännlich“ an, wie er bspw. in seinem YouTube-Video „Why men should not be friends with their wife“ erklärt. Auf der Videoplattform, wo er diese und ähnliche Inhalte veröffentlicht, folgen ihm 155.000 Abonnenten.

Die enge Verzahnung von Körperlichkeit, Spiritualität und Ideologie, wie sie in der Netflix-Serie Adolescence sowie in der realen Figur des Father McPherson zum Ausdruck kommt, zeigt, wie gegenwärtige Männlichkeitsentwürfe zunehmend in kulturelle, politische und religiöse Sinnsysteme eingebettet sind. Dabei wird Männlichkeit nicht mehr nur als soziale Rolle oder biologische Tatsache verhandelt, sondern als ganzheitliches Identitätsmodell, das Disziplin, Dominanz und spirituelle Überlegenheit in sich vereint. Diese Konvergenz von Hypermaskulinität und religiöser Aufladung ist kein randständiges Phänomen, sondern spiegelt eine tiefgreifende kulturelle Reaktion auf gesellschaftliche Umbrüche und Geschlechterdebatten wider. Zwischen Netflix-Drama, Instagram-Fitnessvideos und orthodoxer Liturgie entfaltet sich ein komplexes Bild moderner Maskulinität – irritierend, polarisierend, aber vor allem: ideologisch aufgeladen.

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